
Ein Fluss, der eine Rechtsperson ist – schon dieser Umstand macht neugierig. Doch I Am the River, the River Is Me interessiert sich weniger für juristische Konstrukte als für das, was ihnen vorausgeht: ein Weltbild, das Natur nicht als Ressource, sondern als Teil der Verwandtschaft begreift. Die dokumentarische Flussreise von Regisseur Petr Lom und Produzentin Corinne van Egeraat auf dem neuseeländischen Whanganui ist zugleich Meditation, Porträt und Einladung zum Umdenken. Zentrum und Ruhepol der Reise ist Ned Tapa, Māori-Ältester und offiziell ernannter Flusswächter. Mit sanfter, aber bestimmter Autorität führt er eine internationale Gruppe über den knapp 300 Kilometer langen Fluss, der seit 2017 als juristische Person anerkannt ist – das Ergebnis eines jahrhundertelangen Kampfes der Māori um Respekt, Mitsprache und die Rückgewinnung ihrer spirituellen Beziehung zur Natur. Was sich auf dem Papier sperrig anhören mag, wird hier ganz unaufgeregt erzählt. Die Kamera beobachtet mehr, als dass sie inszeniert; sie gleitet mit den Booten, taucht ins Wasser, verliert sich im Nebel, schwenkt auf Baumwipfel, verweilt bei Lichtspiegelungen und lauscht den Stimmen der Menschen und des Flusses gleichermaßen.
Klang als Teil der Erzählung
Formal gleicht der Film einer Reise, die sich treiben lässt – ohne laute Pointen, ohne Eile, ohne dramatische Zuspitzungen. Der Soundtrack aus traditionellen Māori-Instrumenten, Naturgeräuschen und stillen Momenten verstärkt diesen kontemplativen Rhythmus. Die Musik stammt von Grammy-Gewinner Puoro Jerome, einem Meister traditioneller Taonga Pūoro, jener Māori-Instrumente, die nicht nur als Musikinstrumente, sondern als Kommunikationsmittel mit der spirituellen Welt verstanden werden. Seine Klänge sind keine Untermalung, sondern ein integraler Teil der Erzählung – sie tragen die Stimmung des Films, sie atmen, sie heilen, sie sprechen mit dem Fluss.
I Am the River, the River Is Me ist ein Film mit fließender Struktur – nicht die schlechteste Wahl für einen Film über einen Fluss: Der Film folgt keiner klassischen Dramaturgie, sondern fließt, hält inne, nimmt neue Stimmen auf und lässt andere wieder los. Eine dieser Stimmen ist Brendan, ein Ältester der First Nations Australiens, der eine respektvolle Verbindung zwischen indigenem Wissen über Ländergrenzen hinweg sichtbar macht. Seine Perspektive zeigt, dass der Kampf um den Schutz heiliger Orte und die Anerkennung indigener Weltbilder kein regionales, sondern ein globales Anliegen ist. Auch die anderen Mitglieder der Reisegruppe – darunter Künstler:innen, Aktivist:innen und Forscher:innen – bringen ihre eigenen Geschichten mit, die sich nicht in Interviews erschöpfen, sondern ganz organisch ins Geschehen einfügen. Sie werden nicht als Talking Heads inszeniert, sondern als mitreisende, mitfühlende Menschen, die dem Fluss zuhören, statt ihn zu erklären.
Ein anderer Blick auf die Natur
Die koloniale Vergangenheit und die systematische Marginalisierung der Māori bleiben dabei nicht unerwähnt. Doch auch hier bleibt der Ton ruhig, reflektierend, ohne in Betroffenheitspathos zu verfallen. Die Stärke des Films liegt in seiner Haltung: nicht klagend, sondern suchend, nicht anklagend, sondern verbindend. Einige Aussagen über die heilende Kraft der Natur und die spirituelle Verbindung zum Fluss mögen dem westlich-säkular geprägten Publikum womöglich klischeehaft erscheinen. Doch der Film versucht gar nicht, eine außenstehende Perspektive zu bedienen – vielmehr lädt er ein, sich auf eine andere Weise des Denkens und Fühlens einzulassen.
Am Ende steht kein moralischer Zeigefinger, sondern die stille Erkenntnis: Die Art, wie wir Natur betrachten, ist nicht alternativlos. I Am the River, the River Is Me ist kein Film über den Fluss. Er ist ein Film mit dem Fluss. Und wer sich darauf einlässt, merkt vielleicht, dass auch in einem Dokumentarfilm ohne große Höhepunkte etwas sehr Kostbares liegen kann: Vertrauen in Stille, Verbindung, Fürsorge – und die Einsicht, dass Natur nicht getrennt von uns existiert, sondern Teil eines umfassenden, lebendigen Ganzen ist.
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