Harvest
© Jaclyn Martinez / Harvest Film Limited
Harvest
„Harvest“ // Deutschland-Start: 22. Mai 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Ein Dorf in Schottland, irgendwann an der Schwelle zur Industrialisierung: Walt (Caleb Landry Jones) lebt gern hier, obwohl er in der Stadt aufwuchs und immer ein wenig ein Außenseiter geblieben ist. Das Leben in der kleinen Gemeinschaft von 50 Leuten ist hart, aber erfüllend. Man sät gemeinsam, erntet zusammen, kümmert sich um die Tiere und pflegt ein gutes Verhältnis zu Master Kent (Harry Melling), dem Landbesitzer, der gemeinsam mit seinem heutigen Untergebenen Walt aufwuchs und weiterhin sein Freund bleibt. Aber die kleine Idylle bekommt Risse, als Kents Vetter Jordan (Frank Dillane) seinen Besuch ankündigt und den Kartografen Quill (Arinzé Kene) vorausschickt. Dessen gemalte Landvermessung soll die Grundlage werden für einen historischen Umbruch: weg vom selbstgenügsamen Gemeinschaftsleben, hin zum Profit für wenige, dank der Umwandlung von Acker- in Weideland und vielen Schafen, die mit ihrer Wolle die entstehenden Textilfabriken der Städte füttern.

Einssein mit der Natur

Das leicht wogende Kornfeld liegt reif und üppig im goldenen Sommerlicht. Eine Hand taucht darin auf, nicht gespenstisch, sondern zart und spielerisch. Sie gehört Walt, der sich für ein paar Stunden von den anderen Dorfbewohnern abgesondert hat und vor der grandios schwelgenden Kamera selbst wie ein Teil der Natur wirkt. Wie ein Freund des schlüpfenden Falters, dessen Puppe er streichelt und den er mit sanfter Unterstützung in die Lüfte freilässt. Wie ein Teil des Baums, von dem er ein Stück Rinde abbeißt, um ihn zu schmecken. Und schließlich wie ein Fisch im nahen See, nackt und ganz in seinem Element. Erst nach Sonnenuntergang kehrt Walt heim, unter tiefblauen, sehenswert gestaffelten Wolken. Ein satter Sommertag, der – Schnitt – in eine Katastrophe mündet. Die Scheune mit den Tauben und dem Schimmel von Master Kent brennt lichterloh. Drei junge Männer, unter dem Einfluss von halluzinogenen Pilzen wohl allzu übermütig, blicken schuldbewusst drein. Aber als Sündenböcke für die Brandstiftung müssen dann drei Fremde herhalten, die am Seeufer auftauchen. Zwei Männer werden für eine Woche am Pranger gequält. Der sie begleitenden Frau schneidet man die langen Locken ab. Sie gilt als Freiwild für die Männer des Dorfes, kann aber fliehen.

Gemeinsam mit Kameramann Sean Price Williams schafft Regisseurin Athina Rachel Tsangari (Attenberg, 2010), in den Zehner-Jahren eine der Vorreiterinnen der „Neuen griechischen Welle“, eine dichte Atmosphäre zwischen üppiger Schönheit und düsterem Schrecken, zwischen Tagtraum und Dreck, zwischen naturverliebten Nahaufnahmen und gemäldeartigen Panoramen. Offensichtlich hat die Filmemacherin ihrem Bildgestalter freie Hand gelassen, sämtliche Register seines Könnens zu ziehen, in statischen Überblicken ebenso wie im bewegten Eintauchen in hektisches Getümmel oder wilde Dorffeste nach folkloristischen Bräuchen. Sean Price Williams nutzt die Gelegenheit, die gleichnamige Romanvorlage von Jim Crace in starke Visionen zu übersetzen. Und dabei immer auch auf Genre-Muster anzuspielen. Horror-Elemente mittelalterlicher Praktiken stehen drohend im Raum, ebenso die krimihafte Suche nach den Brandstiftern, aber auch surrealistische Einschübe. Nichts davon bedient Harvest jedoch wirklich. Denn neben der Sogwirkung der Bilder will der Film der analytischen Aufgabe nachkommen, dass nichts von dem Gezeigten dunkle Vergangenheit ist. Sondern dass hier, im Übergang zur Moderne, all die Fehler begangen, die Verbrechen an Natur und Gemeinschaftsleben verübt wurden, die uns bis heute heimsuchen.

Schwierige Balance

Über weite Strecken hält Athina Rachel Tsangari die knifflige Balance zwischen Hineinziehen und Herausreißen, zwischen mitreißendem Schauspiel und Identifikationsverweigerung. Trotz Western-Anleihen sind Gut und Böse nicht klar verteilt, nur der profitgierige Jordan ist eindeutig als schmierige Figur gezeichnet. Aber seine Kontrahenten sind keine strahlenden Helden und außerdem keine geschlossene Gruppe. Manche von ihnen agieren erschreckend fremdenfeindlich, andere wundersam zögerlich. Sehr schön werden – teils im inneren Monolog und Offkommentar – die Momente ausgespielt, in denen Handeln und Gegenwehr nötig gewesen wären. Schonungslos legt der Film die Weichen frei, an denen der Abzweig in eine andere, bessere Richtung möglich gewesen wäre.

Aber natürlich wissen wir alle, welchen Weg die Geschichte eingeschlagen hat. Insofern müssen die Charaktere passiv bleiben, insofern muss die Handlung auf der Stelle treten. Die Analyse des aufkommenden Kapitalismus ist eben kein unbedingt filmtauglicher Stoff. Bei aller Sperrigkeit, die die Arbeiten von Athina Rachel Tsangari sowie die ihres langjährigen Mitstreiters Yorgos Lanthimos schon immer ausgezeichnet haben, erweist sich die direkte Auseinandersetzung mit den Wurzeln der Moderne zuweilen als zu plakativ und dann wieder als zu verrätselt. Trotzdem vermittelt der Film dank seiner außergewöhnlich wuchtigen und zugleich detailverliebten Kameraarbeit ein schmerzhaft-schönes Bild von dem, was wir verloren haben: den Bezug zur Natur und die Gemeinschaft solidarisch verbundener Menschen.



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Harvest
fazit
„Harvest“ erzählt von einer Dorfgemeinschaft, die unter dem aufkommenden Kapitalismus zerbricht. In der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jim Grace setzt die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari auf starke Bilder und sogstarke Atmosphäre. Auf die Dauer des etwas zu langen Films geht jedoch die Balance zwischen Suggestion und Analyse allmählich verloren.
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