Meshes of the Afternoon

Meshes of the Afternoon

Kritik

Meshes of the Afternoon
„Meshes of the Afternoon“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Innerhalb der Geschichte jedes Mediums gibt es immer wieder Werke, die eine Art Initialzündung für eine neue Sichtweise auf dieses darstellen, sowohl aus erzählerischer wie auch technisch-ästhetischer Hinsicht. Viele der Akteure dieser Werke hielten sich weitestgehend im Hintergrund auf, wie man am Beispiel der Regisseurin, Tänzerin und Filmtheoretikerin Maya Deren sehen kann, die zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Alexander Hammid, einem tschechischen Filmemacher, 1943 Meshes of the Afternoon schuf, einen dem Surrealismus verschriebenen Kurzfilm, dessen Einfluss auf die Werke eines John Cassavetes’ oder Herk Harveys (Tanz der toten Seelen) unverkennbar ist. Inspiriert von Filmen wie Ein andalusischer Hund oder Das goldene Zeitalter beabsichtige Deren in Meshes of the Afternoon mittels des Mediums Film die Psyche und die damit verknüpften Träume der Figuren zu erforschen. Damit schuf sie ein betörendes, vielschichtiges Meisterwerk, dessen Bilderwelten bis heute durch den Zuschauer auf eine einzigartige Reise mitnehmen.

Im Zentrum des 14-minütigen Kurzfilms steht der Traum einer jungen Frau (Deren), in dem sie von einer seltsamen Gestalt verfolgt wird, die einen langen schwarzen Umhang trägt und statt eines Gesichts einen Spiegel hat. Nachdem es ihr unmöglich ist, die Gestalt einzuholen, scheint sich der Traum zu wiederholen. Immer wieder begegnet sie sich selbst im Traum, Versionen eines vorherigen Traumes, denen sie beschließt, ein Ende zu setzen, indem sie eines ihrer vorherigen Ichs umbringt. Bevor ihr dies jedoch gelingt, wird sie von einem Mann (Hammid) geweckt.

Gespiegeltes Ich, gespiegelte Welt
Sich einem Film wie Meshes of the Afternoon anzunähern, gleicht der Interpretation einer der Kurzerzählungen Kafkas, vermischen sich doch gleich mehrere Wahrnehmungsebenen innerhalb der Geschichte. Die verschiedenen Maschen (engl. meshes) verweben sich immer wieder zu einem für den Zuschauer wie auch für die junge Frau nicht mehr zu entwirrenden Ganzen, in dem alleine Symbole wie das Brotmesser, die Blume und der Spiegel, um nur ein paar Beispiele zu nennen, Konstanten bilden. Das Ich wird gleichermaßen zu einem Symbol, einer Chiffre, die mal ängstlich, mal neugierig und dann wieder von einer seltsamen, fast schon sexuellen Anspannung bestimmt zu sein scheint.

Mit einer Mischung aus Verwirrung und Faszination betrachtet man den Gang der Frau in die tiefen Sphären dieser Traumwelt und ihres Unterbewusstseins. Mittels verschiedener Kameraperspektiven, die das Bild teils verfremden oder verzerren, sowie der im Nachhinein erst eingefügten Musik des Komponisten Teiji Ito wird die Geschichte zu einer Art Tunnel in ein Labyrinth, aus dem es kaum ein Entkommen mehr gibt und in welchem Gesetze von Raum und Zeit aufgehoben sind. Innerhalb des Trends zum Realismus, wie man ihn aus dem Kino der 40er und 50er Jahre kennt, ist dies keinesfalls nur ein Experiment, sondern eine Auslotung der Grenzen dieses Mediums.



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„Meshes of the Afternoon“ ist ein experimenteller Kurzfilm über die Vermischung von Traum und Wirklichkeit sowie die erzählerisch-ästhetischen Möglichkeiten des Mediums Film. Maya Deren ist mit der Unterstützung ihres damaligen Mannes ein wegweisender Film gelungen, der die Kamera und die Bilder als Mittel begreift, welche die Psyche des Menschen darstellen können oder sich ihrer zumindest annähern können. Dies ist ein Film der großen Möglichkeiten.
9
von 10