The Day I Lost My Shadow

„The Day I Lost My Shadow“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Der Krieg hat erst vor kurzem begonnen, aber schon bekommen die Menschen die Auswirkungen zu spüren. Sana (Sawsan Ercheid) zum Beispiel befürchtet, dass bald das Gas ausgehen könnte, nachdem das Militär die verbliebenen Vorräte für sich beansprucht. Also macht sie sich auf den Weg, um anderweitig wieder an das begehrte Gut zu kommen, und teilt sich hierfür ein Taxi mit den Geschwistern Reem (Reham Al Kassar) und Jalal (Samer Ismael). Eine kurze Fahrt hätte es werden sollen. Doch bald müssen sie feststellen, dass eine Umkehr nicht möglich ist. Auf der Flucht vor Soldaten trifft Sana immer mehr Leute, die ihren eigenen Weg aus der Hölle suchen, während sie selbst verzweifelt versucht, zurück zu ihrem kleinen Sohn zu kommen.

Viele dürften schon einmal von einem unheimlichen Phänomen gehört haben, das sich im Zuge des Atombombenangriffs in Hiroshima zugetragen hat: Der gleißende Blitz der Explosion war so stark, dass Schattenrisse der Menschen sich in Häuserwände einbrannten. Während die Menschen selbst sofort starben, blieb so eine gespenstische Erinnerung an sie zurück, weit über den Tod hinaus. The Day I Lost My Shadow nimmt auf dieses Phänomen Bezug, dreht es aber um: In dem Film laufen Menschen umher, die durch den Krieg ihren Schatten verloren haben, aber noch am Leben sind. So irgendwie.

Kontexte im Schatten
Es ist das ungewöhnlichste, das fantastischste Element eines Films, der sich auf eine ganz eigene Weise an den Krieg annähert. Ungewöhnlich auch deshalb, weil Regisseurin und Drehbuchautorin Soudade Kaadan zuvor im Dokumentarfilm-Bereich unterwegs war. Dieses Erbe ist hier aber nur zum Teil spürbar. Beispielsweise verzichtet die in Frankreich geborene Syrierin darauf, allzu viele Kontexte mitzuliefern. Egal ob es nun um das große Ganze geht – die Hintergründe des Krieges – oder die Detailarbeit an den Figuren, da gibt es schon viel Mut zur Lücke.

Stattdessen steigt The Day I Lost My Shadow mitten ins Geschehen rein. Allerdings stehen nicht die Kampfhandlungen an sich im Vordergrund – die kennen wir hier nur vom Hörensagen –, sondern die konkreten Auswirkungen auf die Leute vor Ort. Da muss schon mal gesputet werden, um noch ein bisschen Wasser abzubekommen, bevor das wieder alle ist. Die Kämpfe, die wir hier sehen, werden nicht mit Waffen ausgetragen. Und auch sonst wird der Krieg, von einer besonders intensiven Szene einmal abgesehen, selbst ein Schatten bleiben, der sich über alles legt, ohne selbst sichtbar zu werden.

Nüchterner Alltag aus dem Krieg
Diese eher poetische Ausrichtung, im Grenzgebiet zum magischen Realismus, findet jedoch keine entsprechenden Bilder. An dieser Stelle werden dann doch die dokumentarischen Wurzeln sichtbar. Nüchtern sind die Aufnahmen, oft auch verwackelt. Das passt gut zur rastlosen Natur des Films. Nur selten wird Sana einmal Ruhe finden. So wie sie innerlich keine Ruhe finden kann, in Gedanken stets bei ihrem kleinen Jungen, der daheim auf sie wartet und nicht versteht, was geschehen ist.

Diese an Panik grenzende Sorge in ihr ist dann auch das treibende Element des Films. Einen direkten roten Faden gibt es hingegen nicht. The Day I Lost My Shadow, das auf den Filmfestspielen von Venedig 2019 Premiere feierte und dort auch als bester Debütfilm ausgezeichnet wurde, ist eine Art Roadmovie, nur eben im Kriegsumfeld. Und einer, der zugleich ein Weg zu einem Ziel wie auch ein Fluchtweg ist. Das bedeutet dann wie so oft, dass die Reise an sich spannender ist als das Ergebnis. Ob Sana nun nach Hause findet oder nicht, ist (fast) egal. Es passiert auch so genug, um zwischenzeitlich ganz zu vergessen, worum es überhaupt ging, wenn wir andere Leute kennenlernen, die auf ihre Weise mit dem Krieg umgehen. Menschen, die sonst in den Schatten verschwanden, nun aber ihre Geschichten erzählen dürfen – ob sie ihren eigenen Schatten haben oder nicht.



(Anzeige)

In „The Day I Lost My Shadow“ will eine Mutter in einem Kriegsgebiet eigentlich nur Vorräte besorgen und ist von einem Moment zum nächsten zu einer Reise durchs Land verdammt. Das schwankt zwischen spröder Dokumentation und Fantasie, konfrontiert das Publikum mit so vielen Ereignissen, dass man fast vergisst, worum es überhaupt geht.
7
von 10