Diamantino

„Diamantino“, Brasilien/Frankreich/Portugal, 2018
Regie: Gabriel Abrantes, Daniel Schmidt; Drehbuch: Gabriel Abrantes, Daniel Schmidt; Musik: Ulysse Klotz, Adriana Holtz
Darsteller: Carloto Cotta, Cleo Tavares, Anabela Moreira, Margarida Moreira, Carla Maciel

„Diamantino“ // Deutschland-Start: 30. Mai 2019 (Kino)

Diamantino (Carloto Cotta) ist ein Gott, Liebling einer ganzen Nation, Herr über ein eigenes Modelabel. Bis er während des Finales bei der Fußballweltmeisterschaft den entscheidenden Elfmeter verschießt. Danach ist er allenfalls noch als Internetmeme zu gebrauchen. Seine beiden Schwestern (Anabela Moreira, Margarida Moreira), die bislang ganz gut von seinem Ruhm profitierten, sehen es aber so gar nicht ein, dass der Geldfluss jetzt nachlassen sollte. Also lassen sie sich auf ein Geschäft ein, nach dem Portugal von Diamantinos besonderen Fähigkeiten profitieren soll. Zeitgleich hat aber auch die Geheimagentin Aisha (Cleo Tavares) größeres Interesse an seinen Finanzen. Genauer gibt sie sich als Flüchtlingsjunge aus, lässt sich von dem gefallenen Fußballstar adoptieren, um unbemerkt dem Verdacht der Steuerhinterziehung nachzugehen.

Meistens bringen wir das altehrwürdige Filmfestival von Cannes mit todernstem Drama in Verbindung, mit Glamour und sich danebenbenehmenden Regisseuren. Alberne Komödien jedoch, die würde man dort wohl kaum erwarten. Eine solche ist Diamantino jedoch, die 2018 im Rahmen der Nachwuchsreihe Critics’ Week gezeigt wurde und dort am Ende sogar auch den Hauptpreis gewinnen konnte. Das ist ungewöhnlich. Ebenso ungewöhnlich, wie es der Film auch selbst ist.

Eingepfercht zwischen Schweden und Pekinesen
Dass hier alles ein bisschen anders ist, das stellen wir schon recht früh fest. Als wäre es nicht schon absurd genug, dass Portugal bei der WM in Russland am Ende gegen Schweden verlieren soll. Nein, das Spielfeld verwandelt sich währenddessen in rosafarbenes Zuckerwatteland, in dem riesige Pekinesenhündchen um die Bälle kämpfen. Zumindest geschieht das so in der Wahrnehmung von dem titelgebenden Diamantino, dessen große Stärke es ist, beim Match alles andere auszublenden, quasi in einer eigenen Welt zu leben und zu spielen.

Das Vorbild für den begehrten Weltfußballer ist klar: Cristiano Ronaldo. Da ist die Herkunft, da sind die Anschuldigungen der Steuerhinterziehung, der Medienrummel und ein Merchandisingimperium, das neben Bettwäsche auch Unterwäsche beinhaltet – weshalb Diamantino auch über längere Strecken nur in solcher gekleidet ist. Der Film ist zudem erstaunlich erfolgreich dabei, die Physis des portugiesischen zu imitieren. Zum Teil wohl, um sich über diesen lustig zu machen, der Fußballer wird mehrfach als das dümmstmögliche Exemplar des Homo Sapiens dargestellt. Einer, der so rein gar nichts von dem kapiert, was um ihn herum passiert. Und doch gelten Diamantino sämtliche Sympathien, von Seiten des Regie- und Drehbuchduos Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt. Auch als Zuschauer ist es fast ausgeschlossen diesen Mann nicht zu mögen, der Herz und Verstand eines Kindes hat – verpackt in einen Six-Pack-Stahlkörper.

Im Fußballwunderland ist für alle Platz
Der Beitrag vom Filmfest München ist aber nicht nur charmant-skurrile Liebeserklärung an einen begehrten Idioten. Abrantes und Schmidt haben erstaunlich viele Ideen eingebaut, die von absurd bis zu satirisch reichen, von bescheuert bis bitterböse. Die Situation in Europa ist Thema, globaler Nationalismus, der Missbrauch von nichtsahnenden Stars, eine Debatte um Geschlechtergrenzen, die Frage sexueller Orientierung, dazu besagte Steuerhinterziehung. Ach ja, auch für ein bisschen Science-Fiction ist später noch Platz. Und eben knuddelige Hunde, die so groß sind, dass sie ein ganzes Fußballtor ausfüllen können.

Nicht alle Gags davon sitzen wirklich. Zwischenzeitlich ist Diamantino trotz der Skurrilität sogar ein bisschen langweilig. Den beiden Filmemachern reicht es, wenn sie manches Thema anschneiden, ohne viel daraus zu machen, versteifen sich an anderen Stellen dafür auf wenig sehenswerte Elemente – etwa die hysterisch-bissigen Schwestern. Auch der an und für sich wahnsinnig komische Einfall, dass eine Agentin sich als Junge ausgibt und niemand weder das Alter, noch das Geschlecht hinterfragt, führt irgendwie zu nichts. Der Film schwebt vor sich her, wird selten so richtig fassbar, es fehlt die Konstanz, um aus dieser Wattebauschkuriosität ein echtes Feuerwerk zu machen. Aber er bleibt dabei sympathisch, ein Traum, der einen etwas verwirrt und doch auch irgendwie glücklich zurücklässt.



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Ein Fußballer mit Riesenhündchen im Kopf, eine lesbische Geheimagentin im Flüchtlingstarnmodus, dazu Science-Fiction-Elemente und Gesellschaftssatire – „Diamantino“ packt eine Absurdität nach der anderen in einen einzigen Film. Das ist sympathisch und wendungsreich, auch wenn der Unterhaltungsfaktor nicht ganz konstant ist und die Gewichtung nicht immer stimmt.
6
von 10