Der Landarzt von Chaussy
© Alamode Film

Der Landarzt von Chaussy

(„Médecin De Campagne“ directed by Thomas Lilti, 2016)

„Der Landarzt von Chaussy“ ist seit 27. Januar 2017 auf DVD und Blu-ray erhältlich

Seit über 30 Jahren kümmert sich der Dorfarzt Dr. Jean-Pierre Werner (François Cluzet) aufopferungsvoll um seine Mitbürger, kennt jeden einzelnen von ihnen, die vielen Macken und Wehwehchen. Doch nun ist er es selbst, der medizinische Hilfe braucht. Krebs lautet die Diagnose. Und auch wenn die Chancen für ihn ganz gut stehen, er soll sich während der Behandlung lieber etwas schonen. Davon will er natürlich nichts wissen. Und so hält sich seine Begeisterung auch in Grenzen, als plötzlich Dr. Nathalie Delezia (Marianne Denicourt) vor ihm steht und ihm unter die Arme greifen soll. Mehr noch, er steht der unerfahrenen Krankenhausärztin sehr skeptisch gegenüber. Doch mit der Zeit muss auch Dr. Werner erkennen, dass er nicht alles schafft und ihm die Kollegin in manchen Situationen sogar etwas voraus hat.

Das Schöne an Erwartungen ist, dass man im Vorfeld nie so genau sagen kann, wann sie sich erfüllen und wann nicht. Der Landarzt von Chaussy ist ein solches Beispiel, wo der Film am Ende irgendwie nicht das ist, was man im Vorfeld gedacht hätte. Und das ist in diesem Fall durchaus als positive Anmerkung gemeint. So wäre beispielsweise eine Komödie denkbar gewesen, in der sich der arrogante Stadtmensch erst eines besseren Landlebens überzeugen lassen muss – diverse peinliche Culture-Clash-Momente inklusive. Doch die wird man hier ebenso vergeblich suchen wie eine Romanze. Ja, es gibt sie, die kleinen Andeutungen, dass zwischen den beiden Kollegen doch mehr möglich ist. Aber es bleibt eben bei Andeutungen, viel wichtiger sind Regisseur und Co-Autor Thomas Lilti ganz andere Punkte.

Dass dieser vorher selbst Medizin studiert hat, merkt man seinem neuesten Werk auch an. Hier gibt es keine blendend aussehenden Götter in Weiß, keine abstrusen superseltenen Krankheitsfälle, auch keine überlebensgroßen tragischen Schicksale. Stattdessen lässt er hier tatsächlich aus dem Nähkästchen plaudern, zeigt dem Publikum die besonderen Ansprüche und Herausforderungen des Arztberufes. Dabei führt er vor Augen, dass es nicht darum geht, ob man Patientenakten im Computer oder auf Papierakten festhält. Wichtiger ist der Mensch hinter dem Krankheitsbild. Ein Mensch, der ebenso individuell ist wie der ihn behandelnde Arzt. Dass mancher Patient sich lieber Dr. Werner anvertraut, andere sich von Dr. Delezia untersuchen lassen wollen, ist daher nur folgerichtig: Der Landarzt von Chaussy erinnert an die persönliche Komponente der Medizin. Daran dass es kein Allheilmittel gibt, jeder Kranke seine eigene Geschichte zu erzählen hat.

Und so ganz nebenbei streift der Film noch eine Reihe weiterer damit verwandter Themen. Ist es beispielsweise sinnvoll, einen 92-Jährigen noch zur Behandlung in ein Krankenhaus einweisen zu lassen? Diverse solcher Einzelfälle werden immer wieder in den Alltag eingebaut und regen vereinzelt zum Nachdenken an. Manche davon werden später wieder aufgegriffen, andere fallengelassen. Es reicht selten, um aus den Patienten tatsächliche Charaktere zu machen, wohl aber, um die Unterschiede zwischen den beiden Hauptfiguren auszuarbeiten und die eine oder andere Anmerkung zum Gesundheitssystem zu machen.

Der Landarzt von Chaussy ist aber nicht nur ein Film über den Arztberuf. Vielmehr muss sich Werner auch mit der eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen. Damit, dass er am Ende doch ersetzbar ist, so sehr er sich die vergangenen Jahre auch das Gegenteil eingeredet hat. Und das ist etwas, das ganz unabhängig von der Rahmenhandlung gut funktioniert: Das Drama führt plausibel und unaufgeregt vor Augen, wie schwierig es ist loszulassen. Dass hierbei auf großen Kitsch verzichtet wird, auch die Musik nur sparsam zum Einsatz kommt, muss man Lilti hoch anrechnen: Er vertraut ganz auf seine Geschichte und seine überzeugenden Hauptdarsteller. Dass es zum Ende hin dann doch wieder konventioneller wird, der Film sich versöhnlicher zeigt, als es lange den Anschein hatte, ist schade. Aber so ist das nun mal mit den Erwartungen: Mal gewinnt man, mal verliert man. Ein empfehlenswertes, weil sehr menschliches Drama ist die französische Produktion auch so geworden.



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Kennt du den: Kommt ein Krankenhausarzt in ein Dorf … Nein, „Der Landarzt von Chaussy“ verzichtet auf die üblichen Culture-Clash-Spielereien, hütet sich aber genauso vor Kitsch und übertriebenen Ärztedramen. Stattdessen setzt sich der Film ruhig mit der menschlichen Komponente dieses Berufs auseinander und zeitgleich mit der Schwierigkeit loszulassen.
8
von 10