Tangerine LA
© Kool

Tangerine L.A.

(„Tangerine“ directed by Sean Baker, 2015)

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„Tangerine L.A.“ ist seit 10. November auf DVD erhältlich

Es gibt Vorfälle, die kann man seinem Partner einfach nicht verzeihen. Als die transsexuelle Prostituierte Sin-Dee (Kitana Kiki Rodriguez) von ihrer Kollegin/Freundin Alexandra (Mya Taylor) erfährt, dass Freund Chester (James Ransone), der gleichzeitig ihr Zuhälter ist, sie betrogen hat, bricht für sie eine Welt zusammen. Aber schlimmer noch, ausgerechnet mit Dinah (Mickey O’Hagan) soll er das getan haben – einer echten Frauen. Das will die Gehörnte nicht auf sich sitzen lassen und macht sich deshalb auf den Weg, die Schlampe ausfindig zu machen und zwecks Aussprache zu ihrem treuelosen Partner zu schleppen.

Heute kann doch jeder ein Fotograf sein! Bei dieser Aussage werden zwar viele die Nase rümpfen, die sich entweder professionell oder zumindest mit viel Herzblut dem Ablichten der Welt verschrieben haben, aber auch sie müssen anerkennen, wie technisch fortgeschritten inzwischen die in Smartphones eingebauten Kameras sind. Dass mit diesem vermeintlich minderwertigem Equipment beeindruckende Bilder zustande kommen können. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis die ständig anwesenden Allzweckwaffen auch eine Filmkamera ersetzen.

Sean Baker nennt sich der Regisseur, der den traditionellen Methoden abgeschworen und ein iPhone zur cineastischen Waffe auserkoren hat. Teilweise zumindest. Direkt vom Telefon auf die Kinoleinwand war der Sprung natürlich nicht, vielmehr wurde im Rahmen der Postproduktion doch noch sehr viel herumgedoktert, bis am Ende Tangerine L.A. dabei herauskam. Und doch ist die Quelle der Aufnahmen immer wieder zu spüren, wenn wir mit den beiden Freundinnen durch die Szenen jagen, diese durch Kontraste und Farbenspielereien zwar verfremdet wurden, aber doch wie direkt dem Leben entnommen wirken.

Das liegt natürlich auch am Inhalt, der so nahe an den Figuren und ihrer Sprache ist, dass man meinen könnte, hier eine Dokumentation über den Transgender-Straßenstrich in Los Angeles anzuschauen. Vielleicht aber auch eine trashige Nachmittag-Talk-Show. Denn trashig ist an Tangerine L.A. so einiges. Sie solle versprechen, kein Drama draus zu machen, bittet Alexandra ihre Freundin. Sehr lange hält dieses Versprechen aber nicht an. Ständig wird geschimpft und gemeckert, gelästert und geschrien. Das ist zuweilen recht anstrengend, da die Odyssee zumindest über weite Strecken einer hysterisch-überdrehten Mischung aus Geister- und Achterbahn gleicht. Gerade auch die schnellen Schnitte und die pulsierenden Beats, welche den Film oft wie ein überlanges Musikvideo wirken lassen, tragen dazu bei, dass man hier wirklich zu keinem Zeitpunkt zum Luftholen kommt.

Aber dieses Frenetisch-Rastlose macht den Film auch zu einer faszinierenden Erfahrung, vergleichbar zu Ruined Heart, nur mit sehr viel mehr Sprache. Derber, ungeschliffener, höchst eigentümlicher Sprache, die einen großen Anteil an der Komik dieser Komödie hat. Die bissige Art ist aber nur eine Seite der Medaille, die groteske Verfolgungsjagd durch ein alternatives Los Angeles enthält auch Momente der Ruhe, der Zärtlichkeit sogar. Momente, in denen klar wird, dass hinter der schrillen Verpackung Individuen stecken, die suchen, sich sehnen, einen Platz brauchen, an den sie gehören. Und wenn sich der Orkan für einen Augenblick fängt, dann spielt das alles keine Rolle mehr – das Filmen mit dem iPhone, die dünne Geschichte. Denn dann dürfen sie, wir alle, einfach nur Menschen sein.



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Laut, überdreht, hektisch, derb – „Tangerine LA“ ist eine ebenso anstrengende wie faszinierende Odyssee durch die Transgender-Prostitutionsszene von LA, die man nicht nur wegen der iPhone-Aufnahmen so bald nicht wieder vergisst.
7
von 10