Herbert
© Wild Bunch Germany

Herbert

(„Herbert“ directed by Thomas Stuber, 2015)

Herbert
„Herbert“ läuft ab 17. März im Kino

Früher war Herbert (Peter Kurth) selbst einmal ein Boxer gewesen, heute kümmert er sich eher um den Sportnachwuchs (Edin Hasanovic) – wenn er nicht gerade als Geldeintreiber oder Türsteher Leute vermöbelt. Sein Körper ist seine Burg, schon immer gewesen. Bis dieser in letzter Zeit sein Eigenleben entwickelt: Immer wieder leidet der 51-Jährige an seltsamen Krämpfen, kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Die Diagnose beim Arzt fällt niederschmetternd aus, Herbert leidet an der unheilbaren Muskelkrankheit ALS. Während er nach und nach die Kontrolle über sich verliert, versucht er wenigstens sein Privatleben wieder in Ordnung zu bringen, sich mit seiner erwachsenen Tochter Sandra (Lena Lauzemis) zu versöhnen. Leicht fällt ihm das nicht, auch seine Freundin Marlene (Lina Wendel) hat schwer unter der Situation und seinen Launen zu leiden.

Das medienbeherrschende Phänomen der Ice Bucket Challenge liegt jetzt schon eine Weile zurück, im Alltag erinnert sich kaum einer mehr an die seltene ALS-Krankheit, aufgrund derer mit der Zeit die Muskeln ausfallen und die unweigerlich mit dem Tod endet. Auch deshalb schon ist Herbert ein unangenehmer Film, den man sehen sollte, es vielleicht aber gar nicht unbedingt will. Ein großer Erfolg an den Kinokassen wird das kleine Drama sicher auch nicht werden, anders als Hin und weg 2014 kommt es dafür einfach zu spät und macht es sich sowie dem Zuschauer recht schwer.

Schon die jeweiligen Protagonisten sorgen dafür, dass die beiden Filme trotz ähnlicher Thematik und desselben Genres unterschiedlicher kaum sein könnten. War der Betroffene in Hin und weg smart, charismatisch, gutaussehend, erfolgreich und sozial fest integriert, ist Herbert nichts davon. Versuche, ihn zu lieben gab es. Und es ist nicht so, als hätte er nicht selbst Gefühle. Allein: Er kommt damit nicht zurecht, stößt andere regelmäßig vor den Kopf, wirft sie schon mal barsch aus seiner Wohnung, wenn es ihm zu intensiv wird.

Herbert ist dann auch ganz auf seine Titelfigur zugeschnitten. Andere Menschen tauchen zwar regelmäßig in seinem Kosmos auf, bekommen aber nicht die Zeit, zu tatsächlichen Charakteren zu werden. Ein bisschen darf Marlene als fürsorgliche, leicht unterwürfige on-off-Beziehung die Szenen mitbestimmen. Ansonsten bleiben die anderen aber auch tatsächlich die anderen, sind vielleicht im Blickwinkel von Herbert. Einen echten Austausch gibt es hingegen nicht, keine Entwicklung, es kommt zu kaum etwas, was einer wirklichen sozialen Beziehung gleicht.

Das ist der eine Punkt, der Herbert von den unzähligen anderen „Totgeweihter sucht Aussöhnung“-Filmen abhebt: Hier gibt es keinen Kitsch, keine Verschönung, nicht einmal einen sympathischen Protagonisten, mit dem man mitleiden möchte. Der zweite Punkt ist, wie Letzterer vor unseren Augen zerfällt und im Nichts verschwindet. Ice Bucket Challenge und Hin und weg waren gut gemeint und auf ihre Weise auch relevant, Herbert zeigt es jedoch, was es genau bedeutet, an ALS erkrankt zu sein. Herbert, der Schrank von einem Mann, der es fast zu einer richtigen Boxerkarriere geschafft hätte, ein Mann, vor dem alle zitterten, stolpert durch die Gegend, kann kaum aufrecht bleiben, braucht später Krückstock und Rollstuhl, verliert zum Schluss sogar seine Sprache.

Bemerkenswert ungeschönt lässt uns Regisseur und Ko-Autor Thomas Stuber bei seinem Spielfilmdebüt an den Auswüchsen der Krankheit teilhaben und reißt einem zum Ende hin mit einer kleinen, gemeinen Szene auch noch das Herz raus. Nett ist das nicht, vom Verlauf her auch ein bisschen gradlinig, aber doch auch sehenswert – nicht zuletzt aufgrund Hauptdarsteller Peter Kurth, der hier so sehr mit dem fallenden Klotz verschmilzt, dass man Herbert zwischenzeitlich auch für einen Dokumentarfilm halten könnte.



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Kein Kitsch, kein Mitleid, aber auch keine Entwicklung – Thomas Stuber zeigt uns in seinem ungeschönten Drama „Herbert“ was es zeigt, an der Muskelkrankheit ALS zu leiden, schont dabei weder seinen Protagonisten noch den Zuschauer.
7
von 10