Polizeiruf 110 Sabine
© NDR/Christine Schroeder/Thorsten Jander

Polizeiruf 110: Sabine

Inhalt / Kritik

Polizeiruf 110 Sabine
„Polizeiruf 110: Sabine“ // Deutschland-Start: 14. März 2021 (Das Erste)

Immer hat Sabine Brenner (Luise Heyer) für andere geackert, für die Arbeit, die Familie, den Sohn, der es einmal besser haben soll. Und doch hat sie immer nur verloren, hangelt sich von einem Job zum nächsten, nachdem ihre Ersparnisse sich bei angeblich todsicheren Anlagen in Luft aufgelöst haben. Als dann auch noch die Rostocker Arunia-Werft geschlossen werden soll, wo sie als Servicekraft ums Überleben kämpft, ist nun auch die letzte Perspektive zerstört. Als sie schließlich in ihrer Verzweiflung die Sache selbst in die Hand nehmen will, ruft das Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Sascha Bukow (Charly Hübner) auf den Plan, die ein noch größeres Unglück zu verhindern versuchen …

Geschichten einer auseinanderbrechenden Gesellschaft

Dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht, ist nicht unbedingt ein gute gehütetes Geheimnis. Während ein kleiner Teil der Gesellschaft immer mehr Geld auf sich konzentriert, kommen erschreckend viele kaum noch durchs Leben. Selbst eine Arbeit ist heute keine Garantie mehr. Diese Entwicklung ist für Filmemacher natürlich ein dankbares Thema. Viele Titel, etwa Sorry We Missed You von Ken Loach oder auch die Serie Dérapages – Kontrollverlust, führen vor Augen, wie einfache Leute ohne wirkliche Perspektive zum Spielball derjenigen werden, die das Sagen haben. Ausnutzen geht immer, da warten schließlich noch genügend andere, die selbst für unwürdige Bedingungen noch dankbar sind.

Dass eine derartige Situation ein Gewaltpotenzial mitbringt, wenn die Menschen in ihrer Wut keinen Weg mehr vor sich sehen, versteht sich von selbst. Polizeiruf 110: Sabine zeigt dabei auf, wie ein solcher Gewaltausbruch aussehen kann. Geplant ist er nicht bei der Protagonistin, die der 360. Folge der ARD-Krimireihe ihren Titel gegeben hat. Wozu auch, wenn sowieso keine ihrer Pläne Bestand hatten? Ihre Arbeit als Schweißerin wurde wegrationalisiert. Zwei Umschulungen später serviert sie nun kalte Getränke und muss sich von einem schnöseligen Chef anhören, sie solle doch die Zitronen kleiner schneiden.

Eine Welt voller Arschlöcher

Aber der von Lucas Prisor (Meine Mutter und plötzlich auch mein Vater) gekonnt schmierig dargestellte Erfolgsmann, der liebe Hunderte in die Armut entlässt, als geringe Renditen in Kaufen zu nehmen, ist nur einer von vielen Arschlöchern, die Polizeiruf 110: Sabine bevölkern. Ob es der Bekannte bei der Bank ist oder der Unbekannte auf der Bank, der Film tut schon viel dafür, den Glauben an die Menschheit zu verlieren. Regisseur Stefan Schaller macht damit das Publikum erst zu Zeugen, dann zu Mitschuldigen, wenn wir den Anfang eines blutigen Feldzuges sehen, irgendwo zwischen Verzweiflung und Vergeltung. Das erinnert vom Prinzip her an die zahlreichen Rape-and-Revenge-Thriller, von denen es gerade im B-Movie-Segment nur so wimmelt. Nur dass dies nicht allein mit einem persönlichen Verbrechen zu tun hat, sondern die Folge einer sozialen Schieflage ist.

Es geht hier also nicht darum – wie sonst in Krimis meist üblich –, den Täter oder die Täterin zu finden. Wir sind hier schließlich live dabei, von den Anfängen bis zum traurigen Finale, haben einen entsprechenden Wissensvorsprung vor der Polizei. Anstatt zu rätseln, was geschehen ist, heißt es hier eher zittern, was noch alles geschehen wird. Und vor allem heißt es fühlen. Polizeiruf 110: Sabine nimmt einen mit, vergleichbar zu dem ebenfalls zwischen Drama, Krimi und Thriller arbeitenden Die Toten von Marnow. Lässt einen an den Schmerzen teilhaben, der Wut. Zuletzt auch an der Trauer, wenn deutlich wird, dass es keinen wirklich Ausweg gibt. Zu viel von dem Weg war vorbestimmt, der Kampf, der lange Kampf, er war vergebens. Sie wollten es besser haben, es besser machen, wenn schon nicht für sich selbst, dann wenigstens für den Sohn. Und waren doch ohne Chance.

Wütend und leise

Dass einen dieser Film so mitnimmt, ist in erster Linie der Verdienst von Luise Heyer, die einmal mehr beweist, warum sie zu den besten derzeitigen Schauspielerinnen Deutschlands zählt. Auch wenn die Geschichte um eine Abgehängte in der einen oder anderen Weise schon mehrfach erzählt wurde, da schon diverse Klischees bei den Figurenzeichnungen mit im Spiel sind: Polizeiruf 110: Sabine geht nahe. Wut und Wahnsinn liegen eng beisammen. Dazwischen wird es leise, so als wäre sie gar nicht da. Als würde sie niemand mehr sehen oder hören oder fühlen. Wie ein Geist schleicht sie durch die dem Untergang geweihten Hallen, nachdem sie von allen im Stich gelassen wurde. Die Erinnerung daran, dass da mal ein Mensch war, der Träume hatte und etwas bewegen wollte, am Ende aber nicht gegen ein System ankam, das keine Menschen mehr braucht.

Credits

OT: „Polizeiruf 110: Sabine“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Stefan Schaller
Drehbuch: Florian Oeller
Musik: Johannes Lehniger
Kamera: Tim Kuhn
Besetzung: Anneke Kim Sarnau, Charly Hübner, Andreas Guenter, Luise Heyer, Lina Beckmann, Ilja Bultmann, Hendrik Heutmann, Alexander Hörbe, Lea Willkowsky, Lucas Prisor

Bilder



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In „Polizeiruf 110: Sabine“ stürzt eine vom Leben im Stich gelassene Mutter in eine weitere Krise, bevor sie der Schmerz und die Wut übermannt. Der Film ist selbst sehr schmerzhaft, wenn er anhand eines Einzelschicksals eine auseinanderbrechende Gesellschaft anmahnt. Statt trockenem Moraldrama gibt es hier aber eine entfesselt auftretende Luise Heyer, die einen bis zum traurigen Ende selbst fesselt.
7
von 10