The Twentieth Century
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The Twentieth Century

Kritik

The Twentieth Century
„The Twentieth Century“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Toronto im Jahr 1899: William Lyon Mackenzie King (Dan Beirne) hat zwei große Ziele im Leben. Er will Premierminister Kanadas werden und seine Traumfrau Ruby Elliott (Catherine Saint-Laurent) heiraten, gerne auch in Kombination. Aber es kommt anders. Der Posten an der Spitze des Staates geht an Bert Harper (Mikhaïl Ahooja), während er selbst sich mit seinem großen Rivalen Arthur Meighen (Brent Skagford) um den zweiten Platz balgen muss. Und auch Ruby hat ihr Herz schon an jemand anderen verloren, wie er entsetzt feststellen muss. Doch gerade als er schon seine sämtlichen Träume zu Grabe tragen wollte, bietet sich ihm eine unerwartete Chance …

Während Franklin Roosevelt, Winston Churchill und Charles de Gaulle hierzulande jedem ein Begriff sind als die Regierungschefs, welche Nazi-Deutschland besiegt haben, da ist Mackenzie King nicht mehr als eine Fußnote. Dabei war auch er maßgeblich daran beteiligt als Premierminister Kanadas. Mehr als 20 Jahre hatte er diese Funktion inne, wenn auch mit Unterbrechungen, mehr als jeder andere in der Geschichte des Landes. Und in diese 20 Jahre fällt eben der Zweite Weltkrieg. Tatsächlich war Kanada einer der ersten Staaten, die Deutschland den Krieg erklärten, Jahre bevor die USA folgten. Und King zeigte sich in den besonderen Zeiten als geschickter, effizienter Politiker. Ein solcher Mann verdient deswegen ein anständiges Biopic, richtig?

Ein Held, der keiner ist
Falsch, erwiderte Matthew Rankin. Wobei nicht ganz klar ist, ob sein Film The Twentieth Century sich tatsächlich gegen den historischen Premierminister wendet oder ob das hier der Versuch ist, sich generell gegen jegliche Form eines nostalgischen Patriotismus und stolzerfüllter Heldenverehrung zu richten. So oder so, von einem vorbildlichen, imposanten Anführer kann hier keine Rede sein. Vielmehr wird King als eine Art wohlmeinende Witzfigur gezeigt, die sich einer despotischen Mutter unterordnet, einen seltsamen Schuh-Fetisch pflegt und schon mal ein bisschen die Beherrschung verliert, wenn etwas nicht nach seinem Willen geschieht – siehe der schrille Ausbruch, als er bei dem Wettstreit um das höchste Amt unterliegt, obwohl er seiner Meinung nach der Beste ist.

Dieser gehört übrigens zu den Höhepunkten des Films: Rankin nimmt nicht nur an dieser Stelle Klischees rund um Kanada macht mutiert sie ganz genüsslich zu einer Farce, die mehr einem Kindergeburtstag gleicht. Wenn auch blutiger. Das ist schrecklich albern, ein bisschen geschmacklos, aber doch lustig. Allgemein ist The Twentieth Century ein Fest für Freunde und Freundinnen eines eher schrägen Humors, der ins Absurde hineinreicht. Dabei ist kaum einer sicher vor dem Spott des Filmemachers, die Komödie wimmelt vor Karikaturen, selbst die harmlosen Nebenfiguren sind überzogen. Mit einer akkuraten Aufarbeitung von Kings Leben hat das natürlich nichts zu tun, der Film ist eher die Alice im Wunderland Version eines Biopics.

Eine komische Welt aus Pappe
Daran hat die Optik ihren Anteil. Selten gibt es in The Twentieth Century Kulissen zu sehen, die man in der Realität wiederfinden könnte. Stattdessen dürfen wir Pappbauten bewundern, so als würde man einer Theateraufführung in einem Kindergarten zusehen. Nur dass die minimalistisch-surreale Anmutung so gar nicht für Kinder geeignet ist: Hinter den einfachen Wänden verbergen sich zahlreiche Abgründe, die in einem starken Kontrast zu der heiteren, ulkigen Fassade stehen. Dass King ein Vertrauter von Guy Maddin (The Forbidden Room) ist, das versteckt er hier nicht sonderlich, das Potpourri aus Ideen und Kuriositäten hat einige offensichtliche Vorbilder.

Im weiteren Verlauf ist die Komödie, die beim Toronto International Film Festival 2019 Premiere hatte und anschließend auf diversen anderen Filmfesten lief, ein bisschen zu konfus. Gab es in der ersten Hälfte noch eine narrative Struktur, der man allen Seltsamkeiten zum Trotz noch gut folgen konnte, wird es dann schon sehr abgefahren. Darauf muss man sich einlassen können, ebenso auf die offensive sexuelle Symbolik und den einen oder anderen derben Witz. Aber es lohnt sich, die selbstironische Geschichtsstunde, die sich Enttäuschung als großes Vermächtnis Kanadas auf die Fahren schreibt, ist selbst alles andere als eine Enttäuschung, sondern vielmehr ein Geheimtipp für ein Publikum, das beispielsweise an Diamantino oder The Wild Boys Gefallen fand.

Credits

OT: „The Twentieth Century“
Land: Kanada
Jahr: 2019
Regie: Matthew Rankin
Drehbuch: Matthew Rankin
Musik: Peter Venne, Christophe Lamarche-Ledoux
Kamera: Vincent Biron
Besetzung: Dan Beirne, Mikhaïl Ahooja, Catherine Saint-Laurent, Sarianne Cormier, Brent Skagford, Richard Jutras

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„The Twentieth Century“ erzählt von dem schwierigen Weg von Mackenzie King bis zum Premierminister Kanadas. Um ein gewöhnliches Biopic handelt es sich hier jedoch nicht, vielmehr eine skurrile bis surreale Komödie, die sich über alles und jeden lustig machen und ein absurder Gegenentwurf zu nostalgischem Patriotismus ist.
7
von 10