The Vigil Die Totenwache
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The Vigil – Die Totenwache

Kritik

The Vigil Die Totenwache
„The Vigil – Die Totenwache“ // Deutschland-Start: 23. Juli 2020 (Kino) // 11. Februar 2021 (DVD/Blu-ray)

Eigentlich hatte Yakov Ronen (Dave Davis) vorgehabt, der chaddistischen Gemeinde, der er einst angehörte, den Rücken zu kehren, doch seine Geldsorgen lassen ihn das Angebot Rabbi Shulems (Menashe Lustig) annehmen. Da man ihm in letzter Minute absagte, wendet er sich an Yakov, der die traditionelle Totenwache für ein verstorbenes Mitglied der Gemeinde halten soll, da sich niemand sonst aus dessen Familie finden lässt und die Witwe (Lynn Cohen) hochgradig dement ist. Yakov verspricht sich einen einfachen Job sowie eine ruhige Nacht, nach der er zumindest seine Miete endliche wird zahlen können. Jedoch findet er nach wenigen Minuten heraus, dass in dem Haus des Verstorbenen etwas nicht stimmt. Geplagt von schrecklichen Visionen und seltsamen Geräuschen versucht Yakov zumindest letzteren auf den Grund zu gehen, jedoch ohne Erfolg. Schließlich erklärt ihm die Witwe, ihr Mann wäre zeit seines Lebens von einem Dämon, einem Mazzik, verfolgt worden, der sich, nun da er tot ist, anscheinend in Yakov ein neues Opfer gesucht hat. Will der junge Mann den Fluch des bösen Geists abwenden, muss er schnell handeln, was für Yakov heißt, sich seinem Trauma endlich zu stellen.

Das Trauma der Vergangenheit
Mit The Vigil – Die Totenwache legt Autor Keith Thomas seinen ersten Spielfilm vor, der sich sogleich im Subgenre des religiösen Horrors bewegt. Die Inspiration für die Geschichte gaben ihm seine Zeit als medizinischer Assistent, als er mehrere an Demenz und Alzheimer erkrankte Menschen therapierte sowie die reiche Mythologie des Judentums, dessen Motive sich im Film wiederfinden. Herausgekommen ist dabei ein minimalistisch angelegter, sehr effektiver Horrorfilm, der von seiner Thematik her Ereignisse der heutigen Zeit aufgreift, in erster Linie die bedauerliche Rückkehr antisemitischer Tendenzen in der globalen Gesellschaft.

Bereits in den ersten Minuten wird der Zuschauer in die religiösen Motive des Films eingeführt. Das Drehbuch wie auch die generelle Ästhetik in The Vigil lassen sich vor allem auf den Chassidismus beziehen, eine ultraorthodoxe Ausrichtung des Judentums sowie auf jüdisches Brauch- und Sagentum, dem die Tradition der Totenwache sowie der Dämon entstammt, der Yakov heimsucht. Dessen nach hinten gerichtetes Gesicht steht für den Schmerz, den er seinen Opfern bereitet, ernährt sich der böse Geist doch von der Pein, den er ihnen mit besonders unangenehmen, traumatischen Erinnerungen bereitet. Dem ohnehin schon etwas unsicheren Yakov zeigen sich grauenhafte Visionen eines Häftlings im KZ wie auch seines eigenen traumatischen Erlebnisses, einer Begegnung mit einigen Männern, die ihn und seinen kleinen Bruder einst überfielen.

Ähnlich Jennifer Kents Der Babadook ist es weniger das Monster an sich, sondern vielmehr die Angst in einem selbst, von welcher der Schrecken ausgeht. Die Sehnsucht, ein normales Leben zu führen, wie es Yakov an einer Stelle betont, bleibt eher eine Hoffnung, hängt die Erinnerung doch wie ein Damoklesschwert über dem jungen Mann, der schon bei alltäglicher Kommunikation unsicher wirkt. Interessant ist hierbei die Tendenz in Thomas’ Drehbuch, das individuelle Trauma mit dem geschichtlichen des Holocaust und des heutigen Antisemitismus zu verknüpfen, der eben jenen Gang zur Normalität zerstört.

Ein Albtraum auf engstem Raum
Abgesehen von den thematischen Aspekten überzeugt Thomas’ Film nicht zuletzt wegen seiner visuellen Herangehensweise, insbesondere bei der Darstellung des Handlungsortes. Da sich die Handlung mehrheitlich im Haus des Verstorbenen abspielt, wird sogleich der Protagonist eingeschränkt, vor allem, da ihn der Dämon nicht mehr das Haus verlassen lässt. In Verbindung mit Zach Kupersteins Kameraführung und der Lichtgebung entsteht so ein beängstigendes, klaustrophobisches Gefühl. Dieses macht es unmöglich, der Begegnung mit dem eigenen Trauma auszuweichen, verwandelt den Ort zunehmend in eine Stätte der Albträume, von denen man sich befreien muss oder endgültig verschlungen wird.

Credits

OT: „The Vigil“
Land: USA
Jahr: 2019
Regie: Keith Thomas
Drehbuch: Keith Thomas
Musik: Michael Yezerski
Kamera: Zach Kuperstein
Besetzung: Dave Davis, Menashe Lustig, Malky Goldman, Lynn Cohen, Fred Melamed

Trailer

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„The Vigil – Die Totenwache“ ist ein sehr aktueller und effektiver Horrorfilm über die Traumata in der eigenen sowie der kollektiven Vergangenheit. Ästhetisch und thematisch sehr überzeugend gelingt Keith Thomas mit seinem Regiedebüt ein beeindruckender Film, der hoffentlich nicht nur sein Publikum findet, sondern der auch in einigen Jahresbestenlisten 2020 vertreten sein wird.
9
von 10