Queen of Hearts Herzdrama Dronningen
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Königin

„Königin“ // Deutschland-Start: 8. Oktober 2020 (DVD/Blu-ray)

Anne (Trine Dyrholm) liebt Kinder. Sie liebt ihre beiden eigenen, die sie mit ihrem Mann Peter (Magnus Krepper) hat. Aber auch in ihrem Beruf als Anwältin kümmert sie sich mit Vorliebe um solche, denen es schlecht geht, die misshandelt wurden, missbraucht. Bis Gustav (Gustav Lindh) in ihr Leben tritt, Peters 17-jähriger Sohn aus erster Ehe. Der ist gerade in seiner rebellischen Phase, hat auch wieder Probleme mit der Polizei, als er sich für eine Weile bei ihnen einnistet. Die Beziehung zum Vater bleibt dabei eher schwierig. Dafür stimmt die Chemie zwischen Anne und Gustav. Sie stimmt sogar zu sehr, denn irgendwann führt das eine zum anderen, die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre …

In den letzten Jahren wurden im Zuge der #MeToo-Kampagne zahlreiche Fälle bekannt, in denen Männer ihre Position ausnutzten, um Frauen zu missbrauchen, zu unterdrücken oder sich zumindest völlig unmoralisch zu verhalten. Doch auch wenn diese Konstellation die eindeutig häufigere ist, so sind Frauen durchaus zu ähnlichen Schandtaten in der Lage. Daran erinnert die dänische Regisseurin und Co-Autorin May el-Toukhy, die mit ihrem dritten Spielfilm Königin aka Queen of Hearts schon auf mehreren Filmfesten zu Gast war und nun auch Deutschland im Rahmen des Filmfests Hamburg 2019 beehrt.

Ein starker Widerspruch
Beim Titel drängen sich eine Reihe höchst unterschiedlicher Assoziationen auf. Zum einen war da natürlich die allseits Prinzessin Diana, die sich Zeit ihres Lebens für andere Menschen einsetzte und nach ihrem Tod zur Königin der Herzen gekürt wurde. Andere werden vielleicht an die groteske Figur aus Alice im Wunderland denken, die jeden, der ihre Autorität in Frage stellt, einen Kopf kürzer machen will – zumal Anne ihren Töchtern aus eben diesem Buch auch noch vorm Schlafengehen vorliest. Vereinbar sind diese beiden Bilder eigentlich nicht. Und doch tut Queen of Hearts genau das mit einer widersprüchlichen Hauptfigur, aus der man nie so ganz schlau wird.

Auf der einen Seite ist da die Vorzeigemama, die ihr schickes Zuhause zu jeder Zeit makellos hält und sich um all die missbrauchten Menschen kümmert. Auf der anderen Seite ist da die arrogante, rücksichtslose Verführerin, die vor ihrem eigenen Stiefsohn nicht Halt macht. Warum Anne sich nun ausgerechnet Gustav zur Brust nimmt, wird gar nicht so genau erklärt. Vielleicht war es die Langeweile, die ein derartiges perfektes Leben mit sich bringt, weshalb sie sich dann auch mal etwas gönnen wollte, dass darin eigentlich keinen Platz hat. Vielleicht war die Sehnsucht nach der Jugend, die bei ihr nun schon eine Weile zurückliegt. Oder es war dann doch der Rausch ihrer Machtposition. Zu wissen, dass sie es einfach kann.

Der unheimlich beiläufige Wandel
Trine Dyrholm (Die Erbschaft, Astrid) gelingt es, diese verschiedenen Facetten zusammenzuführen und trotz ihrer Widersprüchlichkeit plausibel werden zu lassen. Kann ein Mensch Heiliger und Monster in einer Person sein? Ja, kann er, wie Königin demonstriert. Dabei lässt sich el-Toukhy, die zusammen mit Maren Louise Käehne (Shelley) das Drehbuch schrieb, viel Zeit. Sie führen die Figuren ein, verbringen eine ganze Weile im Traumhaus mit der Traumfamilie, noch bevor sich das Thema überhaupt andeutet. Und wenn der Film dann doch langsam mal zur Sprache kommt, tut er dies ohne Sprache. Mit Blicken. Mit Mimik. Mit flüchtigen Berührungen, die mehr sagen als sie sagen.

Beeindruckend ist dabei, wie natürlich sich das eine aus dem anderen ergibt. Schon früh erzeugt Queen of Hearts das Gefühl, dass hier etwas Ungutes ansteht, dass die perfekte Fassade bald brechen muss. Das tut sie, inhaltlich wie visuell: Der Film wird erstaunlich explizit in den Sexszenen, scheut auch nicht vor wenig schmeichelhaften Großaufnahmen zurück, ohne deshalb zwangsläufig die Hässlichkeit zu suchen. Vielmehr zeigt das Drama, das zum Ende hin Thrillerelemente aufgreift, die Sachen einfach, wie sie sind, ohne Rücksicht auf die Protagonisten und Protagonistinnen, ohne Rücksicht auf das Publikum. Letzteres muss hier mitansehen, wie die Situation immer weiter eskaliert, hilflos, während auch das letzte bisschen Wärme aus dem geradezu surrealen Paradies weicht, in dem vielleicht niemand enthauptet wird, dafür aber auf andere Weise zerstört.



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In „Königin“ hat eine Frau das Sagen, die auf den ersten Blick widersprüchlicher nicht sein könnte: eine Vorkämpferin für die Rechte Missbrauchter, die ihren minderjährigen Stiefsohn verführt. Dieses eiskalte Drama mit Thrillerelementen ist alles andere als gefällig, überzeugt aber durch eine starke Trine Dyrholm und eine Inszenierung, die mehr mit Bildern als mit Worten erzählt.
8
von 10