Verachtung
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Verachtung
„Verachtung“ // Deutschland-Start: 20. Juni 2019 (Kino)

Es ist ein Anblick, der selbst die hartgesottensten Polizisten noch schockiert: drei mumifizierte Leichen, die um einen Tisch herum sitzen. Viele Jahre müssen sie dort in dem leer stehenden Apartment gewesen sein, ohne dass jemand davon Wind bekommen hat. Aber wer sind diese Leute? Und warum mussten sie sterben? Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) und Hafez el-Assad (Fares Fares) vom Kopenhagener Sonderdezernat Q für ungelöste Fälle sollen dem Ganzen auf den Grund gehen und kommen dabei einer viele Jahrzehnte zurückliegenden Geschichte auf die Spur. Eine Geschichte, die jedoch bis heute nachwirkt, wie sie bald am eigenen Leib erfahren werden …

Gut Ding will Weile haben. Nachdem die ersten drei Filme rund um das Sonderdezernat Q in relativ kurzen Abständen erschienen – zwischen dem Auftakt Erbarmen und dem dritten Teil Erlösung lagen gerade mal zweieinhalb Jahre – mussten sich Fans beim vierten Auftritt gedulden. Zwar war Verachtung bereits letzten Herbst auf dem Filmfest Hamburg zu sehen. Doch bis auch der Rest der Republik dabei sein durfte, verging nach einer zwischenzeitlichen Verschiebung ein dreiviertel Jahr. Warum man hier so lange wartete, darüber darf spekuliert werden. Vielleicht wollte man sich das Finale noch etwas aufheben, denn ein fünfter Film soll in der Konstellation nicht mehr kommen. Heißt es.

Was zur Hölle ist das denn?
Das wäre schon etwas schade, denn auch Verachtung bietet durchaus solide Genrekost. Der Film fängt sogar mit einer der stärksten Szenen an, welche die Reihe bislang vorzuweisen hat: Wenn bei der Renovierung einer Wohnung die Bauarbeiter auf das Mumientrio stößt, dann stockt nicht nur den Anwesenden der Atem. Die auf Romanen von Jussi Adler-Olsen basierenden Geschichten, sonst eher bodenständig, gewinnen so eine bislang ungekannte bizarre Note. Ein bisschen wie die surrealen Fälle, die es in Hannibal vor einigen Jahren zu lösen gab.

Dieser Auftaktsknaller ist jedoch gleichzeitig die Schwäche des Films, denn vergleichbar intensiv wird es in den folgenden 110 Minuten nicht mehr. Stattdessen teilt sich die Geschichte in zwei Stränge auf. Der erste erzählt von der jungen Nete (Fanny Bornedal), die in den 1960ern in eine Anstalt eingewiesen ist. Der zweite folgt Carl und Hafez, wie sie aus dem ebenso grausigen wie mysteriösen Fund schlau zu werden versuchen. Das geht mit den üblichen Ermittlungen einher. Da werden Leute befragt, alten Akten nachgegangen, während sich nach und nach die einzelnen Puzzleteile zusammensetzen.

Dauert das noch lange?
Die ganz große Spannung will dabei aber nicht aufkommen. Indem die Mumienszene an den Anfang des Films gesetzt wurde, nimmt Verachtung nicht nur den Höhepunkt vorweg. Es wird auch viel zu früh verraten, was hinter dem ganzen Vorfall steckt. Polizei und Öffentlichkeit mögen noch im Dunkeln tappen, als Zuschauer wartet man hingegen darauf, dass die anderen den eigenen Wissensstand einholen. Auch damit kann man natürlich spielen. Regisseur Christoffer Boe fällt jedoch nicht wirklich etwas dazu ein. Selbst die Szenen, die eine Überraschung beinhalten sollen, sind viel zu früh offensichtlich. Was hier alles geschehen wird, das weiß man daher schon vorher, was den Thriller manchmal etwas zäh macht.

Was jedoch nach wie vor gut funktioniert, ist das Zusammenspiel der verschiedenen Charaktere. Carl ist immer noch das sozial beeinträchtigte Wrack, an dem alle anderen verzweifeln – ob Freund, Vorgesetzter oder Zeuge. Zur Freude des Publikums. Auch die Atmosphäre ist geglückt, Verachtung suhlt sich in den Abgründen, selbst wenn diese ausnahmsweise mal schick sein sollten. Vor allem aber die soziale Komponente hinterlässt großen Eindruck, wenn es hier mal nicht um persönliche Bereicherung oder sonstige übliche Motivationen geht. Stattdessen griff Adler-Olsen in seinem Roman einen realen Missstand auf, der selbst als Krimi verpackt zu Herzen geht, teilweise auch schockiert – umso mehr, da er gerne noch immer totgeschwiegen wird.



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Wenn in „Verachtung“ das Sonderdezernat Q dem Geheimnis von drei Mumien auf der Spur ist, dann beginnt das auf eine ungewohnt bizarre Weise. Der Rest des Films ist weniger beeindruckend. Trotz einer schön düsteren Atmosphäre und gewohnt überzeugender Darsteller zieht sich der vierte Fall – vor allem, da er zu früh verrät, was gespielt wird.
6
von 10