Nell
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Nell

„Nell“ // Deutschland-Start: 23. Februar 2015 (Kino) // 16. November 2018 (DVD/Blu-ray)

Eine verstorbene alte Frau in einer abgelegenen Waldhütte ruft Dr. Lovell (Liam Neeson) auf den Plan, der einen natürlichen Tod feststellt. In der Hütte befindet sich allerdings noch die verstörte Nell (Jodie Foster), eine junge Frau, die eine unbekannte Sprache spricht. Während zuerst niemand so richtig weiß, was mit ihr anzufangen ist, bekommen Dr. Lovell und Dr. Olsen (Natasha Richardson) vom Gericht drei Monate zugesprochen, um die Sprache der jungen Dame zu entschlüsseln, damit entschieden werden kann, ob sie resozialisiert oder weggesperrt wird.

Neben beeindruckenden Landschaftsaufnahmen glänzt Nell vor allem durch die drei Schauspieler in den Hauptrollen. Nicht nur füllt jeder seine eigene Figur mit Leben, sie harmonieren auch wunderbar miteinander (Neeson und Richardson heirateten zudem etwa zwei Wochen nach Drehschluss). Insbesondere Jodie Foster als titelgebende Figur macht eine hervorragende solche. Für sie selbst ist es die beste Performance ihrer Karriere und es ist leicht nachzuvollziehen, wieso sie dieser Meinung ist. Die kindliche Naivität, die verträumten Blicke, das mühelose Reden in einer künstlichen Sprache – Foster spielt nicht, sie ist.

Wettlauf um die Wahrheit
Nell ist beinahe eine Art interaktiver Krimi. Der Film versteht es, den Betrachter in seinen Bann zu ziehen und parallel zu Dres. Lovell und Olson Nells Hintergrundgeschichte und Sprache zu erraten beziehungsweise zu entschlüsseln. Mal haben die beiden die Nase vorn, dann wieder findet der Zuschauer etwas vor ihnen heraus. So stimmt nicht nur die Chemie unter den drei Hauptdarstellern, sie weitet sich auf den Rezipienten aus, denn auf subtile Weise wird die vierte Wand zwar nicht durchbrochen, dafür aber semipermeabel, sodass er vollends in die Handlung eintauchen kann.

Bei der Übersetzung von Nells Sprache (Nellish) ist man auf die Vorarbeit der Forscher angewiesen, bei der Hintergrundgeschichte allerdings erhält der Zuschauer einen unfairen Vorteil, da er die Dinge manchmal aus Nells Sicht zu sehen bekommt und somit Zeuge ihrer Erinnerungen werden kann, zu denen die anderen keinen Zugang haben. Das ist eine nachvollziehbare Entscheidung, schließlich kann Nell (noch) nicht verbal verstanden werden, es bricht aber doch mit der Erzählweise und verzerrt den Fokus des Films. Auch ist er mit 108 Minuten etwas zu lang geraten, so gibt es beispielsweise einige Querelen zwischen den Ärzten, die sie wohl menschlicher machen sollen, aber überflüssig sind. Ein angedeuteter Konflikt der Frau des Sheriffs führt nirgendwohin und wird nie wieder aufgegriffen.

Ende gut, alles gut
Der Begriff „Wohlfühlende“ ist bei Kritikern überwiegend negativ konnotiert, da er sich meist auf eine ungenügend vorbereitete und/oder klischeehafte Wende zum Guten bezieht. Bei Nell hingegen soll dieser Begriff ausschließlich positiv besetzt sein, denn auch wenn der Film am Schluss kurzzeitig droht, in eine Predigt zu verfallen, ist das Ende konsequent und befriedigend. Das Ende hätte allerdings auch gewirkt, hätte man nicht beinahe zwanghaft einen Bösewicht in Form eines anderen Arztes (Richard Libertini) einzubauen versucht, der anscheinend einfach aus Prinzip gegen einen respektvollen Umgang mit Nell ist.

Dem Mediabook liegt ein von Christoph N. Kellerbach verfasstes Booklet bei, in dem sich neben interessanten Informationen zum realen Fall, auf dem Nell basiert, sowie der Entstehungsgeschichte auch eine kleine Liste mit deutschen und englischen Übersetzungen für Wörter aus dem Nellishen befindet.



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In "Nell" soll eine verwilderte Frau durch die Geduld und den Glauben eines Arztes zurück in die Zivilisation geführt werden. Durch ihren kindlichen Charme vermag sie jedoch nicht nur ihn, sondern vielleicht auch den ein oder anderen Zuschauer zu verändern. Erzählerische Inkonsistzenz und kleine Holpersteine im Pacing werden durch das überzeugende Schauspiel ausgeglichen.
6
von 10