The Wild Boys
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The Wild Boys

„The Wild Boys“ // Deutschland-Start: 23. Mai 2019 (Kino) // 25. Oktober 2019 (DVD/Blu-ray)

Gegen das Böse ist einfach kein Kraut gewachsen, wie die Eltern von Romuald (Pauline Lorillard), Jean-Louis (Vimala Pons), Hubert (Diane Rouxel), Tanguy (Anaël Snoek) und Sloane (Mathilde Warnier) feststellen müssen. Denn die Jungs bringen von Haus aus eigentlich alles mit, was es für Stützen der Gesellschaft so braucht. Geld. Bildung. Kultur. Das hindert die fünf aber nicht daran, kräftig über die Stränge zu schlagen. Als sie dabei ein furchtbares Verbrechen begehen, werden sie zusammen mit einem alten Kapitän (Sam Louwyck) auf eine lange Fahrt geschickt, in der Hoffnung, sie würden sich unterwegs bessern. Es dauert jedoch nicht lange, bis sie anfangen, gegen den strengen Despoten zu meutern. Das eigentliche Abenteuer beginnt aber erst, als sie auf einer einsamen Insel landen, voller seltsamer Pflanzen, die tatsächlich einen Wandel in Gang setzen – wenn auch nicht den erwarteten.

Der Verdacht liegt natürlich nahe in den ersten Minuten, The Wild Boys als Teil der #MeToo-Bewegung zu sehen. Eine Gruppe privilegierter weißer Jungs vergewaltigt eine Frau, redet sich anschließend auf dreiste Weise heraus, muss am Ende auch keine schlimmeren Konsequenzen fürchten. Doch so naheliegend dieser Schluss ist, so falsch ist er auch. Zunächst einmal wurde das französische Werk einige Wochen vor dem Beginn der erschreckenden Enthüllungen männlicher Gewalt an Frauen veröffentlicht. Genauer debütierte der Film während der Filmfestspiele 2017 in Venedig. Außerdem werden die fünf vermeintlichen Jungs in Wahrheit von fünf Frauen gespielt.

Fließende Geschlechterübergänge
Davon sieht man zunächst relativ wenig. Wer nicht vorher begleitende Informationen über The Wild Boys liest oder die Darstellerinnen kennt, der wird vermutlich nicht ahnen, dass die Boys eigentlich Girls sind. Zumindest nicht sofort, erst irgendwann später wird auch dem letzten klar sein, dass da etwas nicht mit rechten Dingen vor sich geht. Bei dieser verqueren Besetzung handelt es sich jedoch weder um einen Gag noch ein Gimmick. Vielmehr ist die Vermischung der Geschlechter Teil einer Überlegung von Regisseur und Drehbuchautor Bertrand Mandico, ob es so etwas wie feste Geschlechter überhaupt gibt. Wie viel von dem, was wir Mann und Frau zuordnen, geht auf natürliche Einflüsse zurück, wie viel ist von Menschen gemacht?

Das soll jedoch nicht bedeuten, dass The Wild Boys übermäßig verkopft ist. Arthouse, ja. Aber eines, das erst einmal weniger an die intellektuellen Fähigkeiten des Publikums appelliert. Das dürfte erst einmal zu verwundert sein, um groß über Hintergründe nachzudenken. Verwundert über den alptraumhaften Einstieg, über die klaustrophobische Überfahrt. Verwundert aber vor allem über das, was auf der Insel so geschieht. Denn die ist nicht nur weit weg von jeglicher Zivilisation. Sie ist auch weit weg von dem, was wir von der Realität so erwarten würden.

Fiebertraum inmitten seltsamer Natur
Sofern wir uns überhaupt noch in dieser befinden. Wie eine einzige Halluzination wirkt das, was sich auf der Insel abspielt. Wenn die fünf gestrandeten Jungs durch die Gegend streifen, auf der Suche nach der Befriedigung ihrer Bedürfnisse, dann ist das irgendwo zwischen Herr der Fliegen und Die blaue Lagune, grausam, bedrohlich, fiebrig und doch auch paradiesisch. Gleichzeitig sind die Ereignisse irgendwie komisch, wenn die Jungs sich an sexuell doch recht eindeutig gestalteten Pflanzen laben. Eine Art Pornophantasie, nur absurder. Und mit noch weniger Dialogen.

Phasenweise ist das ganz spannend anzuschauen, wenn The Wild Boys kontinuierlich eigenartiger wird, Spaß daran hat, alles und jeden in Frage zu stellen. Zumal das Inselabenteuer auch visuell einiges her macht, mit seinen Wechseln von Schwarzweiß zu Farbe. Auf Dauer ist der Inhalt dann aber doch recht dünn, zu dünn für eine Laufzeit von knapp zwei Stunden. Aber auch wenn man sich zwischenzeitlich wünschen würde, dass die Heimfahrt ein bisschen früher stattfindet, so durfte man während seines Aufenthalts auf der Insel doch jede Menge Eindrücke und Fragen einsammeln, die einen auch im Anschluss nicht ganz loslassen werden.



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Wenn in „The Wild Boys“ fünf unzähmbare Jungs auf einer einsamen Insel ganz neue Seite in sich entdecken, dann ist das gleichermaßen bedrohlich, faszinierend und komisch. Ein surreales Abenteuer, das zwar etwas zu lang ist und zwischenzeitlich stagniert, aber doch jede Menge erinnerungswürdige Momente entdeckt und noch dazu interessante Fragen zu Geschlechterkonstrukten stellt.
6
von 10