Mikro & Sprit
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(„Microbe et Gasoil“ directed by Michel Gondry, 2015)

„Mikro & Sprit“ läuft ab 2. Juni im Kino

Was ihre jeweiligen Spitznamen angeht, da können sich die beiden Schüler die Hand geben. Der schüchterne und künstlerisch begabte Daniel (Ange Dargent) wird aufgrund seiner geringen Größe nur Mikro genannt, der neue Klassenkamerad Théo (Théophile Baquet) Sprit – weil der Bastler immer so nach Benzin stinkt. Bald eint die zwei in ihrer Klasse nicht übermäßig beliebten Jungs aber mehr als nur bescheuerte Namen: Die zwei werden beste Freunde, erzählen sich von ihren Hoffnungen und Nöten und unternehmen während der Sommerferien in einer selbst gebauten Mischung aus Seifenkiste und Gartenlaube sogar eine kleine Reise quer durch Frankreich. Natürlich ohne ihren Eltern vorher Bescheid zu geben.

Mit seinem zweiten großen Spielfilm Vergiss mein nicht! avancierte der Regisseur und Drehbuchautor Michel Gondry zu einem Liebling der Kritiker wie auch aller Anhänger ungewöhnlicher Filme. Mehr als zwölf Jahre sind seither vergangen und noch immer versucht der Franzose, diesem auch kommerziellen Erfolg hinterherzulaufen. Doch auch wenn er anschließend mit Science of Sleep und Schaum der Tage noch weitere Werke drehte, welche Liebesgeschichten mit dem für ihn typischen Hang zum Surrealismus kombinierten, ein zweites Mal wollte das irgendwie nicht gelingen. Bei Mikro & Sprit geht er nun endlich neue Wege und offenbart dabei bekannte wie auch völlig unerwartete Qualitäten.

Liebe spielt auch in Gondry aktuellem Film eine Rolle, ist aber nur ein Element von vielen, während er zwei Jungs beim Aufwachsen zusieht. Dass die ein klein wenig ungewöhnlich sind, versteht sich von selbst, ganz will oder kann der Filmemacher auf seine Schrullen dann doch nicht verzichten – wenn schon nicht surreal, dann doch wenigstens skurril. Ob es nun Daniels Aktzeichnungen sind, die als Masturbationsvorlage dienen sollen, oder Théos Bastelleidenschaft, die zu Hause immer wieder Anlass zu Streitigkeiten sind, austauschbar sind die beiden Protagonisten sicher nicht. Und spätestens wenn sich die zwei in ihrem zusammengeschusterten Hauswagen auf den Weg machen, dann ist man dieser charmanten Kauzigkeit hoffnungslos ausgeliefert. Man muss Mikro & Sprit einfach lieben.

Das Besondere dabei ist, dass trotz der diversen kuriosen Einfälle, die einen häufiger zum Lachen bringen werden, als es die meisten „echten“ Komödien dieses Jahr schaffen, Mikro & Sprit seine Geschichte durchaus ernst nimmt. Seine Figuren ernst nimmt. Das Alter, in dem sie sich befinden. Bemerkenswert ungeschönt und in offenkundiger Missachtung der üblichen Coming-of-Age-Gepflogenheiten erzählt Gondry davon, was es heißt, sich das erste Mal zu verlieben. Den eigenen Körper zu entdecken. In der Schule anzuecken, nicht zu wissen, was das Leben eigentlich bedeutet. Und so ganz nebenbei wird auch das Umfeld in die Pflicht genommen, das hier sich entweder für seine Kinder nicht interessiert, sie nicht versteht, teilweise auch an psychischen Krankheiten leidet. All das, was man nicht braucht, was aber in den besten Familien vorkommen kann. Und eben auch in den weniger guten.

Und doch ist Mikro & Sprit eben nicht von Trübsal oder unnötigem Drama geprägt, sondern von einer Abenteuerlust befeuert, wie man sie wohl nur in diesem besonderen Alter zwischen Kindheit und Jugendphase erlebt, wenn man darauf drängt, alles sehen und erfahren zu wollen. Idealisiert? Vielleicht ein wenig, ein bisschen wirkt der Film sogar verklärt-nostalgisch, spielt zwar in der Gegenwart, zeigt aber zwei Heranwachsende, die das Leben nicht digital, sondern mit eigenen Händen, Füßen und Augen annehmen wollen. Und den eigenen vier Rädern. Wenn gleich zu Beginn der Reise das neue Smartphone verloren geht, dann ist das eben auch eine Liebeserklärung an die Welt da draußen und die Welt da drinnen, an das Leben und die Freundschaft. Eine Absage an eine Gesellschaft, die alles nur noch aus zweiter Hand kennt. Dass das nicht immer rund läuft ist klar, zum Ende hin gerät nicht nur der Motor des Autos, sondern auch der des Films ins Stottern. Es geht nicht mehr richtig weiter. Aber irgendwie spielt das schon keine Rolle mehr, denn die beiden mitreißenden Kinderdarsteller haben in der Zwischenzeit so viele Sympathiepunkte gesammelt, dass das gleich für mehrere Streifen reichen würde. Dass selbst erfahrene Schauspielkollegen wie Audrey Tautou hier nur ein Platz in der zweiten Reihe bleibt. Wer Gondrys Schaffenskraft vorher abgeschrieben hatte, wird hier also nicht nur eines Besseren belehrt, sondern auch mit einem Film belohnt, der schon jetzt zu den schönsten und warmherzigsten von 2016 gehört, Kindern wie Erwachsenen gleichermaßen aus der Seele spricht.



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Experiment gelungen: Mit „Mikro & Sprit“ wendet sich Michel Gondry dem Jugendfilm zu, tut dies – auch mit Hilfe seiner beiden mitreißenden Nachwuchsdarsteller – aber so charmant, skurril-witzig und authentisch zugleich, dass man die Geschichte zweier ungewöhnlicher Jungen einfach lieben muss.
9
von 10