Maengeleexemplar

Mängelexemplar

(„Mängelexemplar“ directed by Laura Lackmann, 2016)

Maengelexemplar
„Mängelexemplar“ läuft ab 12. Mai im Kino

Nein, im Leben von Karo (Claudia Eisinger) funktioniert momentan einiges nicht. Wenn nicht gar alles. Ihren Job bei der Event-Agentur ist sie los, die Beziehung mit Philipp (Christoph Letkowski) kriselt, ihre beste Freundin Anna (Laura Tonke) will nichts mehr von ihr wissen. Eine beschissene Situation, die auch nicht besser zu werden verspricht. Während ihr Verhältnis zu der ebenfalls psychisch angeknacksten Mutter (Katja Riemann) schon seit ihrer Kindheit gestört ist, findet sie zumindest bei ihrer Oma (Barbara Schöne) und dem verständnisvollen Kollegen Max (Maximilian Meyer-Bretschneider) Halt. Doch auch die beiden können nicht verhindern, dass die labile Karo immer tiefer in eine Depression schlittert und zunehmend mit Panickattacken zu kämpfen hat.

Auch wenn das Verständnis für psychische Störungen in den letzten Jahren etwas zugenommen hat, so bleiben sie – von Burn-out einmal abgesehen – doch oft noch ein Tabuthema, etwas das man mit sich selbst auszumachen hat. Auch deshalb dürfte Sarah Kuttners 2009 erschienener Erstlingsroman „Mängelexemplar“ einen Nerv getroffen haben. Hier ist es kein zurückgezogener Trauerkloß, der sich in seine Wohnung einsperrt, sondern eine mitten im Leben stehende, junge Frau, der plötzlich den Boden unter den Füßen weggezogen wird, geifert, beißt und kratzt und dennoch den Kampf gegen sich selbst verliert. Sich selbst dabei verliert. Die Mischung aus jugendlichem Elan und tiefer Verzweiflung zerrte eine hässliche Seite ans Tageslicht, die wir oft gar nicht wahrhaben wollten und deshalb umso befreiender war.

Der nun in die Kinos kommende Film ist das auch, manchmal zumindest. Unglück für Zuschauer: Mängelexemplar beginnt am Tiefpunkt. Dem von der Protagonistin, aber auch dem eigenen. Darf man Witze über Depressionen bzw. davon Betroffene machen? Vermutlich ja, so lange sie gut sind. Das sind sie hier nicht. Karo ist eine derart enervierende Person, die sich zudem durch eine Reihe aufgesetzter Gags kämpft, dass man in einer frühen Szene, wo sie ein Kind über das Geländer in den Fluss wirft, gern auch Karo selbst hinüberschleudern würde. Und doch ist die Szene mit einem interessanten Bild verbunden, so wie Regisseurin Laura Lackmann bei ihrer Adaption des Bestsellers immer wieder ungewöhnliche Mittel findet, die innere Zerrissenheit zu visualisieren. Manche davon sind schön, andere bewegend, manchmal sogar erschütternd – Mängelexemplar ist ein Film, der einen immer mal wieder unerwartet hat trifft.

Und dann auch wieder nicht. Es sind nicht nur die gelegentlichen Versuche, komisch zu sein, welche dem Film immer mal wieder schaden, sondern auch, dass während der knapp zwei Stunden langen Laufzeit Karo und die Geschichte auf der Stelle treten. Das ist auf der einen Seite konsequent, denn Mängelexemplar zeigt sehr schön auf, dass der Weg aus Depressionen weder einfach noch gradlinig ist. Immer wieder gibt es Rückfälle, man dreht sich im Kreis, wieder, wieder, wieder, ein Ausweg will einfach nicht in Sicht kommen, was eben auch die Panikanfälle unterstützt. Auf der anderen Seite ist der Film dadurch stellenweise etwas zäh und nicht zuletzt der Protagonistin wegen auch anstrengend.

Aber auch wenn der Film nicht weniger Macken hat als Karo, so ist er doch unbedingt sehenswert, allein schon für die fantastische Besetzung: Claudia Eisinger spielt wie ein Berserker, Katja Riemann die vom Leben überrannte Mutter, Laura Tonke die Freundin, die selbst in den Abgrund schaut. Eigentlich hat hier so gut wie jeder sein Päckchen zu tragen, abgesehen von der als Ruhepol dienenden Therapeutin Anette (Maren Kroymann) natürlich. Die Welt besteht aus lauter mehr oder weniger verkorksten Persönlichkeiten, so scheint es zumindest in Mängelexemplar. Das mag man übertrieben finden, unterstreicht aber doch auch die Nachricht des Films, dass Depressionen und psychische Stören jeden treffen können, wenn es die Situation erlaubt. Das ist sicherlich nicht schön, wie die überraschend aufrichtigen Szenen belegen. Und es gibt auch kein wirkliches Heilmittel, kein absolutes Erfolgsrezept, selbst das Ende bleibt hier erfrischend ambivalent. Aber das hat gleichzeitig auch etwas Tröstliches, zu wissen, dass selbst in der tiefsten Finsternis irgendwo da draußen immer andere sein werden, die ebenfalls den Ausgang nicht finden. Dass das, so hart es sein mag, zum Leben einfach dazugehört.



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Auch wenn „Mängelexemplar“ gerade zu Beginn mit wenig geglückten Humorversuchen kämpft und zwischendurch auf der Stelle tritt: Der Film über eine an Depressionen erkrankte junge Frau ist für seine ungeschönten Szenen des Abgrunds, die fantastische Besetzung wie auch ungewöhnliche Bilder wegen sehenswert.
7
von 10