Enter The Void

Enter The Void

(„Soudain le vide“ directed by Gaspar Noé, 2009)

Seit Jahren spaltet er nun schon sein Publikum und sorgt selbst in Frankreich für Furore und kontroverse Schlagzeilen. Spricht man von Gaspar Noé, so folgen sehr oft abfällige Bemerkungen und es kam auch schon vor, dass der Autor dieser Rezension als psychisch labil beschimpft wurde weil er zum Beispiel Irréversible etwas abgewinnen konnte. Natürlich ist es nicht gerade angenehm für den Zuschauer wenn die Figur die Monica Bellucci in genannten Film verkörpert für fast 15 Minuten vergewaltigt wird und die Kamera dabei ununterbrochen draufhält, anderseits zeigt uns der Franzose in seinen Werken lediglich die tiefsten Abgründe unserer Gesellschaft, nicht mehr aber auch nicht weniger.

Enter The Void beschreitet in dieser Hinsicht nicht wirklich neue Wege und reiht sich somit in die von Gaspar Noé erschaffene Filmwelt ein, auch wenn diesmal der Übergang nicht dermaßen flüssig ist wie zum Beispiel noch zwischen dem Kurzfilm Carne und Menschenfeind und von dort wiederum zu Irréversible. Worin sich nun aber sein nunmehr dritter Kinofilm von seinen restlichen Streifen unterscheidet ist zweifelsohne die Optik. Die über 150 Minuten Spielzeit werden zu einem Farbenspektakel der Sonderklasse, alleine nach dem kurzen Intro mit den ultraschnell vorbeirasenden Credits hat man ein leichtes Schwindelgefühl. Wer den Trailer gesehen hat versteht sicherlich was ich damit meine. Diese visuellen Spielereien versuchen mit all ihrer Imposanz allerdings zugleich die Achillesferse von Enter The Void zu vertuschen, den eigentlichen Plot, denn was übrig bleibt ist vor allem nach dem ersten Drittel dann doch relativ wenig.

Als Zuschauer erlebt man zunächst das Geschehen aus der Egoperspektive von Oscar (Nathaniel Brown), einem arbeitslosen Junkie der sich in Tokio durchschlägt. Dieser simple Trick zieht den Zuschauer sofort und direkt ins Geschehen und damit auch in seinen Bann. Der Tod von Oscars Eltern bei einem tragischen Autounfall ist ein unbewältigtes Trauma das der junge Mann auf seinen Schultern trägt. Seitdem führt er eine sehr innige Beziehung zu seiner Schwester Linda (Paz de la Huerta) die selbst auch beim Unfall beteiligt war, zu einem späteren Zeitpunkt durch die neuen Erziehungsberechtigten aber von ihrem Bruder getrennt wurde. Um seinem geliebten Schwesterherz ein Flugticket nach Japan spendieren zu können beginnt Oscar zu dealen, nur so ist der Drogensüchtige scheinbar in der Lage ein bisschen Geld beiseite zu legen.

Die Hintergrundinfos über die Protagonisten gibt uns Noé allerdings nicht sofort, er spielt ein ähnliches Spiel wie in Irreversibel, erzählt seine Geschichte diesmal zwar nicht rückwärts aber auch nicht linear. So endet im Grunde das Leben der Hauptfigur kurz nach Beginn des Films. Nachdem wir – natürlich immer aus der Ich-Perspektive – mit Oscar DMT, ein starkes Halluzinogen, geraucht haben, begeben wir uns auf einen psychedelischen Trip der bis ans Ende des Films anhalten wird und das in knallbunte Neonfarben getauchte Tokio rechtfertigt. Es dauert nicht lange und Oscar stirbt im Drogenrausch, erschossen von irgendwelchen Bullen an denen ihn sein Freund Victor (Olly Alexander) verraten hat. Er verreckt also in der dreckigen Toilette des Void, einer dunklen Bar für zwielichtige Gestalten wie Oscar, nur seine Seele – oder an was immer man an dieser Stelle glauben möchte – löst sich vom Körper und schwebt zeit- und raumlos durch die japanische Metropole. Die Ansicht ist streng genommen immer noch die Egoperspektive, nur sind wir nicht mehr durch den menschlichen Corpus begrenzt.

Es fällt schwer das gesamte Geschehen in Worte zu fassen aus den einfachen Grund, weil Autor und Regisseur dem Publikum großzügigen Interpretationsraum überlassen. Böse Zungen werden behaupten dies liege daran, weil Noé selbst nicht wisse war er uns hier erzählen möchte oder ganz womöglich gar nur irgendwelchen voyeuristischen und sexuellen Komplexen nachginge. Dazu sei nur so viel gesagt:
Ja, Enter The Void hat zu einem gewissen Grad einen sehr persönlichen Inhalt und ja, der Name ist Programm.

Dieses Void, die totale Leere, wird in reißerischen Kritiken allerdings nur auf den Inhalt bezogen, dabei kann es durchaus vielseitig gedeutet werden. Es bestätigt kurz gesagt Noés pessimistisches Menschenbild. Er macht auch diesmal keine Kehrtwende vom unaufhaltsamen Destruktivismus den der Filmemacher uns Menschen unterstellt und auch hier finden wir als zentrales Thema das Alleinsein:

Man kommt allein zur Welt, man lebt allein, man stirbt allein. Allein, immer allein, und sogar beim Vögeln ist man allein. Allein mit seinem Fleisch. Und je älter man wird, desto mehr ist man allein.

Diese Worte, die Philippe Nahon in Menschenfeind äußert, könnten problemlos auch aus Enter The Void stammen. Obwohl diesmal ein optischer Bruch stattfand, bewegen sich die Filme des Franzosen eigentlich immer im selben Rahmen. Er will uns keine unterhaltsame Geschichte servieren, sondern er möchte sein Kino als Kunst verstanden haben. Ich würde sogar soweit gehen und ihn einen modernen Existenzialisten nennen, einen oft unverstandenen Philosophen dessen Forschungsgebiet die weniger schöne Seite der Menschheit ist. Es ist klar, dass ein solches Themengebiet nicht jedem gefällt, schließlich verspürt nicht jeder das Bedürfnis die ungeschminkte Wahrheit so dreist vor den Kopf gestoßen zu bekommen, schon gar nicht wenn man sich vom tristen Alltag und den wirklich schockierenden und vergessen wir nicht realen Ereignissen, abwenden möchte um die Gedanken bei einem Film zu zerstreuen.

Obwohl ich nun Enter The Void in gewisser Hinsicht durchaus als gelungen bezeichnen würde, kann ich nicht abstreiten, dass auch meine Aufmerksamkeit an einigen Stellen durch abschweifende Gedanken beeinträchtig wurde. So gesehen bin ich froh, den Film nicht im Kino mit maximal einer Unterbrechung gesehen zu haben, die Pause-Taste im Heimkino bietet hier natürlich deutlich mehr Flexibilität. Verglichen mit Noés bisherigen Werken, empfand ich Enter The Void als den bisher angenehmsten aber zugleich schwächsten Film. Eine Zweitsichtung könnte allerdings viele neue Perspektiven und Interpretationen ermöglichen weshalb dieser Vergleich wohl doch zu verfrüht ist.

Wer Gaspar Noé für einen prätentiösen Provokateur oder gar für einen Scharlatan mit dubiosem Glaubensverständnis hält, sollte lieber auch seinen letzten Film meiden. Wer bereit ist einen zweieinhalb Stunden dauernden Intensivtrip zu folgen und eine gewisse Bereitschaft aufbringt sich auf etwas Neues einzulassen, der wird – unabhängig ob man nun den Film gut oder schlecht findet – am Ende sicherlich das Eine oder Andere in der obskuren Welt von Oscar entdecken können.

Enter The Void erscheint am 04. Februar als 3 Disc Special Edition (DVD + Blu Ray)



(Anzeige)