Die Fremde

Die Fremde

(„Die Fremde“ directed by Feo Aladağ, 2010)

Während die Filmindustrie in Deutschland sehr oft und sehr gerne verhöhnt wird, und ich bin da wahrlich kein Unschuldslamm, bringt sie ab und zu dann aber doch noch kleine Juwelen zum Vorschein. Mit Die Fremde feiert die Österreicherin Feo Aladağ ihr Regiedebüt und weißt damit von der ersten Minute weg zu überzeugen.

Ihre Themenwahl, die tragischen Ehrenmorde in islamischen Kulturkreisen denen man schon längst auch in Europa begegnet, ist dabei gar nicht so einfach. Dieses Phänomen in einem zweistündigen Spielfilm zu beleuchten ohne dabei auf irgendwelche publikumsorientierten Kompromisse einzugehen zeugt von Mut aber, spätestens nachdem man den Film gesehen hat, auch von Intelligenz, denn die Geschichte wirkt dadurch authentisch, auch ohne den (Werbe)Zusatz „basierend auf einer wahren Geschichte“.

Wirklich grandios ist aber weniger die Montage des Streifens, die alleine betrachtet unspektakulär und sehr eintönig daherkommt, sondern die formidable Leistung der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli. Sie spielt Umay, eine gebürtige Berlinerin mit türkischen Wurzeln, die mittlerweile mit ihrem Mann Kemal (Ufuk Bayraktar) und ihren Sohn Cem (Nizam Schiller) in Istanbul wohnt. Ihre von Angst und Gewalt dominierte Ehe veranlasst die Fünfundzwanzigjährige zurück nach Deutschland zu ihren Eltern zu fliehen, doch anstatt auf Verständnis und Mitgefühl zu stoßen erwartet sie ein um seine Ehre besorgter und verärgerter Vater (Settar Tanriogen) und eine unerwartet, kühle reagierende Mutter (Derya Alabora). Ihre Geschwister sind zwar gespaltener Meinung, doch schnell wird klar über die Meinung des Familienoberhaupts wird nicht diskutiert.

Der Film vermittelt sehr gut die Hoffnungslosigkeit Umays, dessen Einzelschicksal den Zuschauer nahegeht und berührt. Die Suche nach Schutz und Halt, zuerst bei Familie, dann bei Freunden und schließlich bei den Behörden, zieht sich durch die gesamte Spielzeit und sorgt für eine beklemmende Atmosphäre, hier allerdings im positiven Sinne. Dass der Großteil der Dialoge auf Türkisch gesprochen und nur Deutsch untertitelt wird, verdeutlich nochmals Aladağs Verlangen nach Authentizität. Wenn der Film an einer Stelle nicht konsequent genug ist, dann ist es wohl die Darstellung der Staatsgewalt. Schön und gut, dass die Polizei Freund und Helfer aller Bürger ist, doch man hätte hier ruhig auch ein paar weniger verständnisvollere Cops zeigen oder zumindest die einhergehende Komplexität rechtlicher Schritte hervorheben können.

Wo sich die Österreicherin als äußerst geschickt erweist ist das Vermeiden von billigen Vorurteilen. Zwar lässt meine kurze Inhaltsangabe alles andere vermuten, aber die Regisseurin und Drehbuchautorin verallgemeinert hier an keiner Stelle, verfolgt das Ganze strikt auf der Mikroebene, aber was noch viel wichtiger ist: sie verpasst all ihren Charaktere menschliche Züge was ihr Handeln zwar nicht für Gut heißt aber wenigstens nachvollziehbar macht. Dass sie natürlich Nichts für arrangierte Hochzeiten, starre Familienstrukturen und Ehrenmorden übrig hat, bleibt natürlich kein Geheimnis und ist auch gut so, doch nie hat man das Gefühl die Intention sei die Verurteilung einer Kultur und/oder Religion. Sie stellt vielmehr gezielt einige, die Generationen überlebende, Bräuche und Sitten in Frage. Die Figuren wirken dabei so als seien sie Gefangene eines Systems das kaum wer in Frage zu stellen wagt.

Wenn man so will ist Die Fremde abseits von kulturellen und religiösen Fragen (die streckenweise überhaupt eine Rolle spielen, was an einer Stelle sogar wörtlich mit „Lassen Sie Gott aus dem Spiel, der hat damit überhaupt nichts zu tun“ bekräftigt wird) ein Film über die Freiheit des Einzelnen, primär die der emanzipierten Frau.

Mit Feo Aladağ und der jungen Sibel Kekilli gibt es zwei hochinteressante Künstlerinnen bei denen es mich nicht wundern würde wenn ich sie in der einen oder anderen größeren, oder sagen wir international bedeutungsvolleren, Produktion wiederfinden würde.



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