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Das weiße Band

(„Das weiße Band“ directed by Michael Haneke, 2009)

Der österreichische Skandalregisseur Michael Haneke sorgte unter anderem schon mit Funny Games für viel Kontroverse. Stets stand in seinem Werk das Thema „Gewalt“ im Mittelpunkt seines Interesses. Für seine Arbeiten Die Klavierspielerin und Caché wurde er durch diverse Preise ausgezeichnet. Das schwarzweiße Ensemble-Drama Das weiße Band wurde mit der Goldenen Palme veredelt.

Vorabend des Ersten Weltkriegs, 1913/14: Ein Dorf im protestantischen Norden Deutschlands. Ein rätselhafter Reitunfall des Dorfarztes (Rainer Bock) löst eine schicksalshafte Kette von Ereignissen aus. Es beginnt die dramatische Geschichte des vom Dorflehrer (Christian Friedel) geleiteten Schul- und Kirchenchors. Seine kindlichen und jugendlichen Sänger und deren Familien: Gutsherr (Ulrich Tukur), Pfarrer (Burghart Klaußner), Gutsverwalter (Josef Bierbichler), Bauern – sie repräsentieren den Querschnitt der sozialen dörflichen Struktur. Die mysteriösen Unfälle ziehen nach und nach den Charakter ritueller Bestrafungen an. Trotz aller Bemühungen – Appell an den bzw. die Täter sich zu stellen, Untersuchungen, Einschaltung der städtischen Polizei – bleibt der oder die Täter im Verborgenen.

Durch einen Erzähler (Ernst Jacobi) führt Haneke seine Zuschauer zunächst in skurriler Art und Weise durch den Reitunfall in sein Kriminaldrama ein. Ein Drahtseil, das die lokale Hebamme (Susanne Lothar) bemerkt hat, verweist darauf, dass es sich keinesfalls um einen Unfall handelt. Und ganz schnell wird dem Zuschauer klargemacht, dass es sich hier um keine lustige Krimigeschichte handelt. In einer kargen und stets angespannten Atmosphäre schildert Haneke seine Erzählung, die von feudalen Machtstrukturen, dem Patriarchat sowie einem doppelmoralischen Protestantismus zeugt und den Nationalsozialismus in ideologischer Hinsicht bereits in den familiären-und sozialen Strukturen vor dem Ersten Weltkrieg ausmacht. Es ist aber auch eine Erzählung von den Abenteuern und der Perspektive der Kinder sowie von der Chance zur Liebe – zwischen dem Dorflehrer und Eva (Leonie Benesch) – in einer derart unromantischen Zeit.

Die ruhige und nüchterne Kamera von Christian Berger hält die Wirren und Mysterien vor dem Ersten Weltkrieg in Bergman’scher Manier fest. Der aus technischen Gründen ursprünglich in Farbe abgedrehte Film wurde im Nachhinein digitalisiert – vor allem weil das Kerzen- bzw. Petroleumlicht für Unschärfe gesorgt hat – und in schwarzweiß umgewandelt. Die Gesamtästhetik brilliert durch eine klare Schärfe und einer unnachahmlichen Schlichtheit bzw. natürlichen Schönheit. Der Film lebt auch von den grandiosen schauspielerischen Leistungen des Ensembles, aus niemand beispiellos herausgegriffen werden kann. Lediglich die Urgewalt eines Bierbichlers (Winterreise) kam zu gering zur Entfaltung. Auf Filmmusik verzichtet Haneke völlig. In Das weiße Band hört der Zuschauer die akzentuiert eingesetzte Realmusik – z.B. der Schulchor oder der Lehrer am Klavier. Die Musik dient nicht zur künstlichen Stimmungserzeug, wie in zahlreichen anderen Filmen, sondern illustriert oder kommentiert lediglich auf subtile Weise das Geschehen.

Der kontrovers diskutierte Österreicher präsentiert ein authentisches Sittengemälde, wie man es sonst nur von anderen Autoren-Filmemachern wie Werner Herzog (Woyzeck) oder Joseph Vilsmaier (Schlafes Bruder) gewohnt ist. In opulenten 144 Minuten kommt trotz ästhetischer Strenge und räumlicher Enge zu keiner Zeit Langeweile auf. Dafür sorgt zum Einen das grandiose Ensemble, das eine gelungene Mischung aus etablierten und Nachwuchsschauspielern darstellt, und zum Anderen die stets aufrecht erhaltene Anspannung, die durch die mysteriöse Kriminalerzählung erzeugt wird. In Zeiten des digitalen Overkills eine beruhigende Pille für Freunde des anspruchsvollen – und trotzdem unterhaltsamen – Kunstkinos.



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