Antichrist

Antichrist

(„Antichrist“ directed by Lars von Trier, 2009)

Lorenz Mutschlechner zur Blu Ray

Enttäuscht? Nein, schließlich wusste ich von vornherein auf was ich mich hier einlasse. Angewidert? Oh ja, und wie. Warum kann ich dann nicht behaupten Antichrist sei ein schlechter Film? Ganz einfach, weil Lars von Trier, mit oder ohne Depression, es wieder einmal schafft ein interessantes Kunstwerk auf die Leinwand zu transportieren. Da sich über Kunst aber bekanntlich streiten lässt, habe ich vollstes Verständnis für diejenigen die diesen Streifen verabscheuen oder erst gar nicht sehen wollen. Der Däne zehrt erbarmungslos an den Nerven seines Publikums, die dargestellte Gewalt und die Sexszenen – die ohne weiteres aus einem Pornofilm stammen könnten – machen die etwa 110 Minuten Spielzeit zumeist unerträglich.

Auch wenn die Kameraführung vorzüglich und die visuelle Inszenierung grandios ist, hat man das Gefühl mehr und mehr den Überblick zu verlieren, ein roter Faden ist irgendwann nicht mehr erkennbar, die verschwommenen Bilder stehen hier fast schon metaphorisch für das Befinden des Zuschauers. Anders als sonst, tischt uns von Trier eine scheinbar willkürlich zusammen gemischte Bilderflut in vier Kapiteln auf.

Auch diesmal spielt die Natur, vor allem aber die menschliche, eine elementare Rolle. Die einzigen Schauspieler, Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg, führen uns in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele. Wie die Figuren heißen erfährt man nicht, lediglich ihr auf tragische Weise verstorbenes Baby wird beim Namen genannt. Der kleine Nic wird nämlich das weitere Geschehen ins Rollen bringen. An der Performance der Darsteller gibt es nichts zu meckern, vielmehr verwunderte es mich dass ein renommierter Künstler wie Dafoe (der zuvor aber auch schon bei Manderlay mitspielte) für ein solche gewagtes Projekt zu gewinnen war.

Lars von Trier spielt wie immer auch hier mit diversen Symbolen, so tauchen beispielsweise öfters „die drei Bettler“ auf, deren Erscheinen in diversen Gestalten stets den Tod vorhersagt. Daneben ist das wohl kaum übersehbare und womöglich gestörte Frauenbild des Dänen omnipräsent. Er gibt sich nicht damit zufrieden dass im (rosaroten) Titel auch das Venus-Symbol untergebracht ist, sondern bringt unter anderem auch das Motiv der Hexenverbrennung und Patriarchat ein, mal ganz davon abgesehen wie er sein Werk terminiert.

Wie allerorts bekannt, verarbeitet Trier seine persönlichen Ängste und Erfahrungen in seinen Filmen. Die dunklen Wälder, als die gefährlichste aller Bedrohungen wirkt vielleicht banal, der Regisseur und Autor lässt jedoch ansatzweise erkennen dass hier aber eher von Gärten, genauer gesagt Garten Eden, die Rede ist. Den zu Beginn befürchteten religiösen Touch weist dann Antichrist aber doch nicht auf. Nicht mehr aber auch nicht weniger begnügt er sich mit einigen biblischen Anspielungen (neben dem bereits genannten Paradies, erkennt man zum Beispiel deutlich den brennender Dornenbusch), konzentriert sich aber primär auf die weltlichen Ereignisse.

Dass sein Menschenbild äußerst pessimistisch ist dürfte Kennern auch schon längst bekannt sein, doch in seinem letzten Streich erreicht von Trier kurz gesagt seinen traurigen Tiefpunkt. Hoffnung ist überhaupt keine mehr erkennbar, der Wald wirkt wie eine Sackgasse und genau wie bisher scheitert auch diesmal sein Idealist kläglich. Die brutale Darstellungsweise gibt dem konzentrierten Beobachter den Rest (spätestens nach der abgeschnittenen Klitoris war bei mir eine Pause angesagt) und lässt ihn erst gar nicht die Möglichkeit sich näher mit dem Geschehen zu befassen. Zumindest mir war das Ganze zu heftig und ich glaube behaupten zu können dass „zart besaitet“ nicht auf mich zutrifft, zumal ich auch Gaspar Noè oder Lukas Moodysson relativ gut wegstecken kann.

Und dennoch: Kunst muss nicht gefallen sie muss Aufsehen erregen, provozieren und wenn man bedenkt dass sein Film neben den damaligen Chartstürmern in aller Munde war hat er diese Mission somit auch erfüllt. Dass von Trier u.a. mit Sicherheit danach aus war beweist auch dass er Antichrist noch vor den Credits dem von ihm vergötterten Tarkowski widmet. Erst neulich habe ich gelesen dass Lars von Trier ein Remake von Taxi Driver plant, bleibt zu hoffen dass er seine persönlichen Depressionen endgültig überwunden hat und wieder einen Streifen zu Stande bringt der auch inhaltlich mehr überzeugen kann.

Falko Fröhner zur DVD

Antichrist DVDIn Antichrist porträtiert Lars von Trier ein Paar, dessen Trauerarbeit um das verstorbene gemeinsame Kind in einem beispiellosen Prozess der psychischen und physischen (Selbst-) Zerstörung mündet. Nach dem plötzlichen Tod des Sohnes Nic, begibt sich ein Ehepaar aus Seattle  in einen verlassenen Wald, um gemeinsam den traumatischen Verlust des Kindes zu verarbeiten. Besonders sie (Charlotte Gainsbourg) fühlt sich für das tragische Unglück verantwortlich und leidet unter ständigen Panikattacken. Ihr Gatte (Willem Dafoe) erhofft sich, seine Frau in der (gott-) verlassenen Natur therapieren und von ihren Selbstzweifeln befreien zu können. Doch in der Waldhütte „Eden“, in die sich die beiden zurückgezogen haben, kommt es schließlich zu einem grausamen Exzess…

Die skandalumwobene, bislang vorletzte Regiearbeit Lars von Triers ist in vier Kapitel – „Trauer“, „Schmerz“, „Verzweiflung“ und „Die Drei Bettler“ – unterteilt. Diese Einteilung des Films ist jedoch inkonsequent, da sich jene vier Mottos genau genommen wie ein roter Faden durch den Handlungsfortgang ziehen. Antichrist beginnt als ein Ehedrama, das auf Grund der Personenkonstellation – ein Mann therapiert seine Frau – und der entsprechenden Inszenierung – durch die reduzierte Schärfentiefe sind die Gesichter der Protagonisten vor einem nahezu verschwommenen, oftmals undefinierbaren Hintergrund zu sehen – einer eher weniger gelungenen Imitation der Themen, des Stils und der Bildsprache Ingmar Bergmans gleicht.

Sobald sich das Paar schließlich in der Hütte „Eden“ und dem umgebenden Wald aufhält, rückt die visuelle Umsetzung von Antichrist in Plagiatsnähe zu den kraftvollen, surrealistischen Naturaufnahmen in den Werken Andrei Tarkowskis, dem der Film gar gewidmet ist. Unverhohlen bemüht sich von Trier, die visuelle Intensität der Klassiker des sowjetischen Regisseurs wie beispielsweise „Der Spiegel“ oder „Nostalghia“ nachzuahmen.

Neben der anfechtbaren Inszenierung ist im Hinblick auf den Inhalt von Antichrist zu bemängeln, dass der Film ein fragwürdiges Frauenbild vertritt; dominiert zu Anfang der Mann in seiner Rolle als Therapeut seine labile Frau, so entpuppt sich diese im Verlauf der Handlung als gewalttätige Tyrannin, die ihr eigenes Kind misshandelt hat und sich letztlich physisch gegen die Autorität des Ehemannes zur Wehr setzt. Allerdings ist anzumerken, dass die Beweggründe für das zerstörerische Verhalten der Frau weitestgehend unbekannt bleiben.

Die Verdienste der beiden Hauptdarsteller sind hoch zu loben; Gainsbourg und Dafoe schrecken nicht vor einer zuweilen unvorteilhaften Darstellung ihrer Körperlichkeit, die in Antichrist Nacktheit bedeutet, zurück. Lediglich in der Anfangssequenz des Films wird die Intimität zwischen den Protagonisten als ein schöner, erhabener Akt dargestellt, doch erscheint dies ambivalent in Anbetracht des gleichzeitig stattfindenden Kindstodes…

Jene Eröffnungssequenz, die mit einer auf die meisten zeitgenössischen Kinogänger wohl befremdlich wirkenden Arie Händels unterlegt ist, ist fraglos der beachtenswerteste Moment des Films, da es von Trier gelingt, völlig gegenläufige Emotionen – Erhebung und Entsetzen – im Zuschauer zu evozieren. Doch im Folgenden versucht der Regisseur durch die halbseidene Mystik – ein sprechender Fuchs verkündet dem Protagonisten: „Chaos regiert!“ – und aufdringliche Metaphorik – zu sehen ist beispielsweise eine Krähe, die ihr eigenes Küken frisst -, die dem Film zu Grunde liegen, Verwirrung im Publikum zu stiften und den Zuschauer mit der Frage nach einem verborgenen Sinn hinter dem Gezeigten zu belasten. Da ihm dies allerdings nicht mit der Meisterschaft etwa eines David Lynch gelingt, streut der Däne eine Handvoll ekelerregender Gewaltszenen, die dem Film wegen ihrer Grausamkeit unter „Gorehounds“ einen regelrechten Kultstatus beschert haben, in sein Werk ein, um das Publikum zu verstören und somit die Substanz- und Belanglosigkeit von Antichrist zu kaschieren.

Das Ergebnis dieser Arbeitsweise ist denkbar misslungen; von Triers vorletzter Film ist ein prätentiöses, unreifes Machwerk, das alleine auf Grund seines hervorragenden Hauptdarsteller- Duos und der durchaus gelungenen Eröffnungssequenz Daseinsberechtigung genießt.



(Anzeige)

4
von 10