Wild
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Wild

(„Wild“ directed by Nicolette Krebitz, 2016)

Wild
„Wild“ ist seit 27. Oktober auf DVD erhältlich

Eigentlich war Ania (Lilith Stangenberg) nie eine besonders auffällige Person gewesen. Ob beruflich bei der Technikfirma oder privat, die junge Frau hält sich zurück, vermeidet große Kontakte oder Konflikte, wehrt sich nicht einmal gegen die bevormundende Behandlung durch ihren Chef Boris (Georg Friedrich). All dies ändert sich jedoch, als sie eines Tages auf dem Weg zurück nach Hause einem Wolf begegnet. Fasziniert von dem wilden Tier, beschließt sie es zu fangen und bei sich in der Wohnung zu halten. Nicht nur für ihren neuen Mitbewohner bedeutet das eine große Umstellung, auch in selbst beginnt sich etwas zu ändern – was auch dem Umfeld nicht verborgen bleibt.

Ungezähmte, gern auch gefährliche Tiere und Erotik, das ist in Filmen keine ganz seltene Kombination. Das mag mal etwas expliziter sein, bei billigen Sex- oder Horrorstreifen, oft sind es aber reine Andeutungen, ein kleiner Flirt, ein Spiel. Gerade Wölfe waren hier, ein später Einfluss von Rotkäppchen, eine beliebte Tierart, um die animalische Seite von Menschen nach außen zu kehren. Wild tut das auch, konsequenter als andere sogar, obwohl wir uns hier weder im Sex- noch Horrorbereich aufhalten. Ein Drama ist die deutsche Produktion. Oder auch nicht. Eigentlich ist diese Genre-Schublade die einzige, die einem aufgrund ihrer Beliebigkeit noch einfällt, passt aber nicht wirklich zu einem Film, der so offensichtlich nichts mit Konventionen zu tun haben will.

Konventionen wie einer Handlung beispielsweise. Frau findet Wolf. Frau zieht mit Wolf zusammen. Frau verhält sich komisch. Mehr muss man über den Inhalt nicht wissen, mehr wird der eine oder andere auch nicht wissen wollen. Nicolette Krebitz, die hier ihre dritte Arbeit als Regisseurin und Drehbuchautorin vorlegt, hält offensichtlich recht wenig von den Wohlfühlbestrebungen vieler deutscher Kollegen und entscheidet sich stattdessen für einen Konfrontationskurs, der nicht nur hierzulande kaum eine Entsprechung findet. David Lynch wird ganz gern mal bei Vergleichen hinzugezogen, wohl der unwirklichen Atmosphäre wegen. Dabei ist es keine mysteriöse Surrealität, die hier aus dem Zusammenleben von Mensch und Tier erwächst. Eher befremdlicher Abscheu.

Den bringen Ania anschließend auch die anderen Figuren entgegen, wenn sie nicht gerade Sex mit ihr wollen. Abstoßend und anziehend waren wohl selten so nah beieinander wie in Wild, so als wollte der Film etwas in uns entfesseln, das keiner wahrhaben will. Darin dürfen Interpretationsfreunde natürlich große Aussagen über die menschliche Natur finden. Man muss es aber nicht, so wie ein rationales Verständnis irgendwie an dem vorbeizielt, was hier geschieht. Höchstens emotional ist diese Frau und ihr seltsames Treiben zu begreifen, die sich von allem und jedem eingesperrt fühlt, die durch das Nachspüren ihrer animalischen Triebe ihre Freiheit zu finden sucht.

Das kann manchmal komisch sein, manchmal spannend, oft auch einfach nur verwirrend. Passiert das gerade wirklich? Sind es Fantasien der Hauptfigur? Habe ich mich vielleicht auch einfach nur geirrt? Antworten darauf wird man keine finden. Eigentlich kann man sich nicht einmal sicher sein, ob es überhaupt eine in Worte zu fassende Frage gibt. Nein, in der derzeitigen Konsens-Kino-Landschaft hat Wild nur wenig zu suchen, das mit seinem Titel schon sagt, was es zu sagen gibt. Die einen werden verstört sein angesichts der bizarren Szenen, die anderen aufgrund fehlender Anknüpfungspunkte tierisch gelangweilt. Experimentierfreudige, die sich an den gleichförmigen Alternativen unserer Zeit stören, werden aber fasziniert sein, wie hier jemand einen derart persönlich Zugang anstrebt, ohne Rücksicht darauf, ob ihr noch jemand in die Abgründe folgen kann.



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Eine Frau findet einen Wolf und anschließend das Tier in sich – das ist gleichzeitig simpel und eine der forderndsten Erfahrungen, die das deutsche Kino in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Denn „Wild“ ist komisch und verstörend, anziehend und abstoßend zugleich.
8
von 10