X-Men Erste Entscheidung
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X-Men: Erste Entscheidung

(„X-Men: First Class“ directed by Matthew Vaughn, 2011)

X-Men Erste EntscheidungWie könnte der Mensch der Zukunft aussehen? Eben diesem Thema widmet sich Charles Xavier (James McAvoy) in seiner Doktorarbeit. Und er muss es wissen: Der telepathisch Begabte ist einer von mehreren sogenannten Mutanten, die unter den Menschen leben und über Spezialkräfte verfügen. Während er selbst gut so leben kann, ist er von außen doch nicht von normalen Menschen zu unterscheiden, tut sich seine Freundin, die Gestaltwandlerin Raven (Jennifer Lawrence) deutlich schwerer damit. Und auch Erik Lehnsherr (Michael Fassbender), der Metall mithilfe seiner Gedanken bewegen kann, ist nicht gut auf Menschen zu sprechen. Vor allem nicht auf Sebastian Shaw (Kevin Bacon), der während des Nationalsozialismus Eriks Mutter ermordete und ebenfalls nach Mutanten Ausschau hält – allerdings aus weit weniger friedliebenden Gründen als Charles.

Rund fünf Jahre mussten Fans der Mutantencomics von Marvel darauf warten, bis nach X-Men: Der letzte Widerstand erneut ein Kinoauftritt anstand, sieht man einmal von dem Soloabenteuer X-Men Origins: Wolverine ab. Ganz freiwillig war die lange Pause nicht, vielmehr war ursprünglich ein Spin-off zu den Anfängen von Magneto geplant, welches aber nie sein Ende fand und zum Schluss durch Erste Entscheidung ersetzt wurde. Dafür musste es dann aber sehr schnell gehen, nur ein paar Monate Zeit blieb dem Team, um den Film rechtzeitig 2011 noch in die Kinos zu bringen.

Einen richtigen Gefallen tat man sich mit der Hetze nicht, an vielen Stellen merkt man, dass der Film ein Schnellschuss war. So sind beispielsweise die Spezialeffekte, die von insgesamt sechs verschiedenen Unternehmen stammen, von stark schwankender Natur. Während etwa der Auftritt der eisigen Schönheit Emma Frost (January Jones) prima aussieht, sind andere Computertricks für einen Blockbuster dieser Größe ziemlich schäbig, darunter die sehr billig aussehenden Green-Screen-Szenen. Schade ist zudem, dass die 60er Jahre visuell so gut wie gar nicht rüberkommen: Wer zu Beginn verpasst, dass der Film zu der Zeit spielt, an der Ausstattung würde er es kaum merken. Lediglich die Verknüpfung mit der realen Kubakrise gibt dem Ganzen einen historischen Kontext.

Und auch das Drehbuch litt etwas unter der Hektik. Der grundlegende Konflikt, der die Mutanten trennt – sollen sie versuchen mit den Menschen zu leben oder diese zu unterwerfen? – wird etwas hastig abgearbeitet, danach darf es gleich ins Kampfgetümmel gehen. Ein rundes Dutzend Mutanten musste zudem bei dem Prequel zu den drei X-Men-Filmen der 00er Jahre eingeführt werden, darunter einige nie zuvor gesehene – was bei nur 135 Minuten Laufzeit einer ziemlichen Herkulesarbeit gleicht. Insgesamt schlug man sich hierbei wacker, der Film bricht nicht annähernd so sehr auseinander, wie man es befürchten könnte. Für Tiefgang hat es jedoch nur teilweise gereicht. Während gerade die Pein von Magneto, Mystique und Beast (Nicholas Hoult) glaubwürdig vermittelt wird, bleiben andere Figuren blass bis nicht existent. Da erfährt man maximal den Namen und die Spezialfähigkeit.

Letztere sind dabei natürlich wieder das Herzstück des Films, bedienen wie das Teleportvermögen von Azazel (Jason Flemyng) oder die mächtigen Schüsse von Havok (Lucas Till) die Sehnsucht danach, größer, schneller oder besser zu sein als andere. Der mit Schallwellen hantierende Banshee (Caleb Landry Jones) und die Libellenmutantin Angel (Zoë Kravitz) hingegen sind schon recht trashig, eher ein Fall fürs Kuriositätenkabinett anstatt fürs Siegerpodest. Aber solche drolligen Einlagen nimmt man bei derartigen Langzeitcomics in Kauf, unterhaltsam ist es zumindest, wenn die hochkarätig besetzte Mutantenschar aufeinander losgeht, zumal das hier auch etwas düsterer ausfällt als die doch zumeist humorvoll ausgelegtere Marvel-Variante aus dem Hause Disney. Und so wurde das Reboot von X-Men zu einem größtenteils verdienten Kassenerfolg, dem drei Jahre später das Doppel-Sequel Zukunft ist Vergangenheit folgte. Bonuspunkte gibt es übrigens für die Versuche, im Original die durch die Geschichte bedingte Sprachenvielfalt zu berücksichtigen: So dürfen wir Kevin Bacons überraschend gelungene Deutschübungen hören, Fassbender darf sogar zwischen Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch hin und her wechseln – im sprachlich genügsamen Hollywood durchaus keine Selbstverständlichkeit. Und auch die starken Auftritte der weiblichen Pro- wie Antagonisten, inklusive der Geheimagentin Moira MacTaggert (Rose Byrne), sind in dem doch sehr männlich dominierten Marvel-Universum ein Grund zur Freude.



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Zurück zu den Ursprüngen! Das Prequel zu der „X-Men“-Trilogie ist ein etwas zwiespältiges Vergnügen, sowohl inhaltlich wie auch bei den Effekten hätte mehr Zeit nicht geschadet. Aber auch so ist das düstere Mutantentreffen eine unterhaltsame, vergleichsweise düstere Keilerei.
7
von 10