Aristocats
© Disney

(„The Aristocats“ directed by Wolfgang Reitherman, 1970)

AristocatsDie Prioritäten im Leben der steinreichen, betagten Dame Adelaide Bonfamille sind eindeutig: An erster Stelle stehen ihre Katzen, danach kommt erst einmal lange nichts. Ein neues Testament soll dem Rechnung tragen und Katzenmama Duchesse sowie die drei Sprösslinge Marie, Berlioz und Toulouse zu den Haupterben machen. Erst wenn die einmal nicht mehr sein sollten, ginge der Besitz an Adelaides langjährigen treuen Butler Edgar über. Als der davon Wind bekommt, ist das Entsetzen groß – so eine Katze kann schließlich über zehn Jahre alt werden –, der Plan dann auch schnell gefasst, das Prozedere ein bisschen zu beschleunigen. Ein bisschen Schlafmittel ins abendliche Futter gemischt, das Quartett weit außerhalb der Stadt ausgesetzt und schon darf der Geldregen beginnen. Die ersten beiden Punkte gelingen, beim dritten hapert es jedoch: Die Stadtkatzen begegnen kurz nach dem Aufwachen dem Straßenkater Thomas O’Malley, der ihnen verspricht, sie nach Hause zu bringen.

Aristocats markierte in mehrfacher Hinsicht einen Neubeginn bei den großen Disney-Zeichentrickfilmen: Nicht nur, dass hier das erste Mal Katzen die Hauptrollen übernahmen, es war auch das erste Werk, an dem der 1966 verstorbene Walt Disney nur noch in der Konzeptionsphase beteiligt war. Für Kontinuität war dennoch gesorgt, gleich fünf der neun legendären „Nine Old Men“ – die engsten Mitarbeiter Disneys – waren daran beteiligt, darunter Wolfgang Reitherman, der seit Dornröschen kontinuierlich Regie geführt hatte. Neuland wird deshalb beim 20. abendfüllenden Animationsfilm des Mäuseunternehmens kaum betreten, vielmehr ist Aristocats eine Mischung aus 101 Dalmatiner und Das Dschungelbuch. Von dem ersten wurde der tierische Kampf gegen einen bösen Menschen übernommen, von Letzterem das Storygrundgerüst: Die Protagonisten versuchen in die Stadt zu kommen und begegnen dabei den skurrilsten Tieren.

Im direkten Vergleich schneidet Aristocats dabei aber schwächer ab: Der tollpatschige Edgar kann es zu keiner Zeit mit seiner sinisteren Schurkenikone Cruella De Vil aufnehmen, die Dschungelbewohner waren insgesamt noch einmal eine Spur erinnerungswürdiger. Dennoch gehört das tierische Ensemble zu den Stärken des Films. Schon der Einstieg, wenn die drei Katzenkinder miteinander raufen und sich gegenseitig aufziehen, wird da so viel Persönlichkeit hineingepackt, als müsste man in ein paar Minuten die gesamte Geschichte erzählen. Aber das ist nur der Auftakt, es gesellen sich von den Raufhunden Napoleon und Lafayette über die Gänseschwestern Amelia und Abigail bis hin zu der Straßenkatzengang im Laufe von nicht einmal 80 Minuten noch eine Reihe weiterer verschroben-liebenswerter Charaktere hinzu. So viele sind es, dass sie manchmal etwas kurz kommen, der Mäusemitbewohner Roquefort hätte durchaus mehr Szenen verdient.

Wie beim Dschungelbuch auch verlässt man sich hierbei so sehr auf deren Strahlkraft und Witz, dass der Inhalt zur Nebensache wird. Der ist hier dann auch eine Schwachstelle: Während die turbulenten Actionszenen tatsächlich unterhalten, ist der Humor oft recht einfältig und beschränkt sich auf simplen Slapstick. Die potenziellen Reibungen zwischen verwöhnten Schoßkatzen und rohem Straßenkater wird erst gar nicht beachtet, Aristocats gibt sich von Beginn an seiner romantischen Ader hin.

Aber vielleicht lag das auch daran, dass hier nicht nur die Geschichte einer Katzenfamilie erzählt wird, sondern gleichzeitig auch der Stadt der Liebe ein Denkmal gesetzt wird: Der Film ist geprägt von einem wunderbaren 20er-Jahre-Parisflair, wenn es durch die Straßen der französischen Metropole geht, bräuchte es nicht einmal Figuren, um sich verzaubern zu lassen. Audiovisuell ist Aristocats dann auch wieder eine Klasse für sich, behauptet sich zum Beispiel durch eine abwechslungsreiche Musik, die mal aus einem Krimi stammen könnte, dann wieder dramatisch wird, nur um sich später bei von psychedelischen Farbspielereien begleiteten Jazzintermezzos zu amüsieren. Da auch die Animationen wunderbar sind und es einen interessanten Kontrast zwischen den verschwenderisch gestalteten Hintergründen und den mit dicken Comicstrichen gezeichneten Figuren gibt, darf sich das betont altmodische Katzenabenteuer trotz allem selbstbewusst als Klassiker bezeichnen. Ein Klassiker, der glücklicherweise nicht später verwässert wurde: Die von den berüchtigten DisneyToon Studios angekündigte Fortsetzung wurde vor einigen Jahren eingemottet, eine modernisierte Fassung wurde uns damit erspart.



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„Aristocats“ übernimmt einige Merkmale und Stärken vorangegangener Disney-Zeichentrickfilme, ohne dabei jedoch ganz deren Qualität zu erreichen. Dank der starken Charaktere und der wunderbaren audiovisuellen Umsetzung ist aber auch das Katzenabenteuer ein sehenswerter Mäuseklassiker.
7
von 10