Evolution
© Wild Bunch France

(„Évolution“ directed by Lucile Hadzihalilovic, 2015)

EvolutionAls Nicolas (Max Brebant) vom Meer zurückkommt und berichtet, dort eine Leiche gesehen zu haben, mag ihm keiner glauben. Er habe sich das Ganze eingebildet, vielleicht ist es auch erlogen. Aber der Junge ist davon überzeugt, dass da mehr dahintersteckt, dass seine Mutter (Julie-Marie Parmentier) ihm nicht die ganze Wahrheit über sich und die Insel erzählt, auf der sie alle leben. Zusammen mit den anderen Jungen versucht er deshalb herauszufinden, was da eigentlich vor sich geht, was die Frauen nachts im Wasser treiben und was der Zweck des seltsamen Krankenhauses ist, in das die Kinder nach und nach gebracht werden.

Größer hätte der Kontrast wohl kaum sein können bei den Fantasy Filmfest White Nights: Erst lief der Spinnenblödsinn Lavalantula, danach das rätselhafte, sehr zurückhaltende Fantasy-Drama Evolution. Angekündigt wurde es dann auch mit den Worten, dass all denen, die beim Vorfilm unterfordert waren, hier das Gegenteil erleben durften. Zuviel versprochen wurde dabei nicht, hier soll das Publikum nachdenken, die vielen Leerstellen mit eigenen Rückschlüssen füllen. Mysteriöse, handlungsarme Geschichten gab es beim langjährigen Genrefestival immer mal wieder, etwa bei Observance oder auch Under the Skin. Vergleichbar wenig wurde dem Zuschauer aber selten an die Hand gegeben.

Eins ist klar: Der Film spielt auf einer Insel, auf der nur erwachsene Frauen und kleine Jungen leben. Mädchen und Männer? Die gibt es ebenso wenig wie Greise. Die Vermutung, dass es hier um Mutter-Sohn-Beziehungen geht, liegt natürlich auf der Hand. Aber es bleibt eben eine Vermutung, genauso gut darf man in dem seltsamen Treiben der Inselbewohner eine Auflehnung gegen die Natur sehen. Oder vielleicht auch Außerirdische, die sich fernab der Menschheit auf einer pittoresken Insel gemütlich gemacht haben.

Unwirklich ist das Geschehen nämlich. Und unheimlich noch dazu. Dafür sorgen nicht nur die namen- und gefühlslosen Frauen, welche die Kinder mit absonderlichen Sachen füttern, bei denen nie ganz klar ist, ob es Würmer oder Nudeln sein sollen. Auch die Musikuntermalung ist nicht ganz von dieser Welt, ist fremd und melancholisch zugleich. Wie ein Traum spielen sich hier die Szenen ab, bei denen hemmungslos spekuliert werden darf, die einem dafür aber nur relativ wenig zurückgeben. Das wird sicher für so manchen Zuschauer frustrierend sein, wenn nicht sogar langweilig.

Das Problem dabei ist nicht nur, dass Evolution so gut wie nie konkret bzw. erklärend wird, sondern dass allgemein recht wenig passiert,  es immer wieder dieselben Szenen gezeigt werden, dabei auch kaum gesprochen wird. Damit ist der Festivalbeitrag einer jener Filme, die mehr von ihrer Stimmung, weniger von ihrem Inhalt leben. Erstere ist dabei meist gut gelungen, schwankt zwischen Drama und Fantasy hin und her, mit kleineren Ausflügen ins Horrorgenre. Und die wunderbaren Aufnahmen der Insel sowie der Unterwasserwelt allein sind Grund genug, sich einmal dem traumartigen Werk von Regisseurin und Ko-Autorin Lucile Hadzihalilovic hinzugeben. Wer für die betörenden Bilder nicht empfänglich ist oder vielleicht mehr Inhalt fordert, der muss feststellen, dass selbst überschaubare 81 Minuten sehr sehr lang werden können. So richtig wundert es einen dann auch nicht, dass sich bislang kein deutscher Verleih dafür gefunden hat, eine DVD-Auswertung in weiter Ferne ist. Denn was hier gezeigt wird, hat im guten wie im schlechten nur wenig mit dem gemeinsam, was sich sonst auf unseren Fernsehern abspielt.



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Mit seinen wunderbaren Aufnahmen und dem rätselhaften Inhalt gleicht „Evolution“ einem Traum, aus dem man so schnell nicht wieder erwachen will. Auf Dauer ist die Abwechslung aber zu gering, zusammen mit der spärlichen Handlung wird dem Zuschauer schon recht viel Geduld abverlangt.
6
von 10