Atlantic
© Neue Visionen

(„Atlantic.“ directed by Jan-Willem van Ewijk, 2014)

Atlantic DVD
„Atlantic.“ ist seit 29. Januar auf DVD erhältlich

Jahr für Jahr muss der marokkanische Windsurfer Fettah (Fettah Lamara) mitansehen, wie die Touristen nach ihrem Urlaub zurück in die Heimat fahren. Zurück in das wohlgeordnete Leben, in dem es an nichts wirklich mangelt. Ihm selbst ist dieser Weg jedoch verwehrt, er ist dazu bestimmt, in seinem kleinen Fischerdorf zu bleiben. Wie all die anderen eben auch. Als er jedoch dabei die Niederländerin Alexandra (Thekla Reuten) kennenlernt, ist alles anders. Er mag nicht länger zurückbleiben, will sie sehen, will Europa sehen. Und so fasst er den Entschluss, ihr zu folgen, ausgerüstet nur mit einem Surfbrett und einem kleinen Rucksack.

Ein junger Mann folgt seiner großen Liebe übers offene Meer, ohne Rücksicht auf Verluste, lässt sich dabei von nichts und niemandem aufhalten – das weckt allerlei Erwartungen, zeigt in gleich mehrere Richtungen, in denen sich die Geschichte weiterentwickeln könnte. Erfüllt werden diese Erwartungen nicht, der niederländische Regisseur und Ko-Autor Jan-Willem van Ewijk folgt nicht den naheliegenden Richtungen, sondern schlägt ganz eigene Wege ein. Das kann Details betreffen wie den Punkt im Titel seines Films, aber auch das große Ganze.

Zunächst einmal ist in Atlantic. nämlich nur klar, dass eigentlich nichts klar ist. Wir sehen einen Mann auf seinem Surfbrett, allein umhertreibend. Immer wieder ertönt dazu eine Stimme aus dem Off. Dass sie dem Mann gehört ist naheliegend, wenn auch nicht wirklich gesichert. Und selbst wenn: Mit wem redet er da? Was macht er überhaupt mutterseelenallein auf dem Wasser? Hat er sich verirrt? Erst nach und nach erhalten wir eine Antwort darauf, erfahren in Flashbacks von Fettahs Vorgeschichte.

Und erfahren doch nichts. Eigentlich bleibt er ein Fremder, dieser verschlossene Surfer, der durch Taten und Blicke mehr sagt als durch Worte. Wenn er beispielsweise von Jan (Jan-Willem van Ewijk), dem Freund Alexandras, ein altes Segel erhält, bedankt er sich höflich. Und doch ist ihm anzusehen, dass die wohlmeinende Arroganz des Europäers ihn trifft. Ebenso werden seine Gefühle für Alexandra nie thematisiert, nicht öffentlich zumindest, van Ewijk überlässt es dem Zuschauer, durch die Rückblicke zu rekonstruieren, was Fettah antreibt.

Die starke Zurückhaltung macht Atlantic. für die Anhänger großer Emotionen zu einer eher unbefriedigenden Angelegenheit. Fettas Faszination für die blonde Frau mag seine Triebfeder sein, spielt innerhalb des Films jedoch kaum eine Rolle. Und auch die Überfahrt an sich ist immer seltsam beiläufig: Wer hier ein Life of Pi oder Kon-Tiki erwartet, große Abenteuer eines Einzelkämpfers, der wird am Ende enttäuscht sein. Ungefährlich ist das Unterfangen sicher nicht, eigentlich sogar ziemlicher Wahnsinn, bis auf schlechtes Wetter hat das aber nur wenig negative Konsequenzen für den Marokkaner.

Und doch sind die Szenen auf dem Meer das Herzstück des Films, verwöhnen nicht nur mit wunderbaren Bildern, sondern auch mit den poetischen, nur geflüsterten Monologen des Protagonisten. Wenn er sich darin doch noch öffnet, eine Welt in sich zeigt, die den Touristen um ihn herum verborgen bleibt, ist das vielleicht manchmal ein bisschen zu sehr Kunst um der Kunst willen. Und doch ist es schwer, sich dem Sog dieses audiovisuellen Zusammenspiels zu entziehen, nicht mit dem melancholischen Fettah von einem anderen Leben zu träumen, das irgendwo hinter dem Horizont auf einen wartet. Oder vielleicht auch nicht.



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Mit seiner Mischung aus narrativen Flashbacks und poetischen Momentaufnahmen ist „Atlantic.“ kein Film, der sich an Erwartungen hält. Vieles bleibt am Ende unausgesprochen, doch die wunderbaren Bilder und die sehnsuchtsvolle Grundstimmung halten einen trotz der Sprachlosigkeit gefangen.
8
von 10