Midnight in Paris
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Midnight in Paris

(„Midnight in Paris“ directed by Woody Allen, 2011)

Midnight in ParisEigentlich hätte Gil (Owen Wilson) keinen Grund zu klagen: Er ist ein gefragter Drehbuchautor, jung und gesund und noch dazu im Begriff, die schöne Inez (Rachel McAdams) zu heiraten. Und doch, es ist nicht ganz das Leben, nach dem er sich sehnt, wie ihm bei einem gemeinsamen Urlaub mit seiner Verlobten und deren Eltern in Paris bewusst wird. Eigentlich wäre er viel lieber ein ernstzunehmender Schriftsteller, würde gern in Paris leben, durch den Regen spazieren, sich den schönen Künsten hingeben. Als die beiden in der Stadt den gemeinsamen Freund Paul (Michael Sheen) treffen und dieser Inez mit seinen intellektuellen Vorträgen zunehmend in Beschlag nimmt, beschließt Gil, die Nacht mit einem Spaziergang zu beenden. Und es soll eine Nacht werden, die er nie vergessen wird, denn um Punkt zwölf findet er sich auf einmal im Paris der 1920er wieder und trifft dabei auf eine ganze Reihe berühmter Künstler.

Woody Allen und Hollywood – dass das nicht unbedingt die innigste Liebe ist, daran hat der Regisseur und Drehbuchautor weder in Interviews noch in seinen Filmen je einen großen Zweifel gelassen. Ein Zufall ist das dann auch nicht, dass in Midnight in Paris ein vom Filmbetrieb gelangweilter Autor zum Protagonisten erklärt wird, der sich nach Europa sehnt, nach den großen Künstlern von eins. Ohne dies groß verstecken zu wollen, ist es daher dann auch Allen selbst, der hier in Vertretung von Wilson durch die Straßen schlendert, alte Schallplatten kauft und sich vom Zauber der Stadt der Liebe fangen lässt.

Wer für diese Form von ehrfürchtiger Nostalgie empfänglich ist, wird den Film des Altmeisters lieben. Der Rest darf sich immerhin auf viele äußerst amüsante Szenen freuen. Dabei ist es weniger der Unterschied zwischen Gegenwart und Vergangenheit, der hier zum Anlass für Witze genommen wird, Midnight in Paris ist also keine herkömmliche Zeitreisen-Culture-Clash-Komödie. Vielmehr ist es die Absurdität, in kürzester Zeit derart vielen historisch bedeutenden Künstlern zu begegnen, die einen immer wieder schmunzeln lässt. Gil lässt sich auch nicht lange bitten und verwundern – er stellt die Mechanismen der Zeitreise nie wirklich infrage –, sondern genießt die Gegenwart seiner Vorbilder, versucht auf diese Weise auch, seine eigenen schriftstellerischen Tätigkeiten voranzutreiben.

Ein bisschen over the top ist es schon, was Allen da treibt, oftmals hat man den Eindruck, der Film wäre nur ein Mittel zum Zweck, um möglichst viele Idole und aktuelle Schauspielgrößen auf einmal zu versammeln. Ernest Hemingway (Corey Stoll), Pablo Picasso (Marcial Di Fonzo Bo), Gertrude Stein (Kathy Bates), Scott (Tom Hiddleston) und Zelda Fitzgerald (Alison Pill), Salvador Dali (Adrien Brody), Luis Bunuel (Adrien de Van), Cole Porter (Yves Heck), Josephine Baker (Sonia Rolland), T.S. Elito (David Lowe), sie alle bekommen hier Auftritte, oft nur wenige Minuten lang. Abgerundet wird der Starreigen durch Marion Cotillard, Léa Seydoux und Carla Bruni, für die jedoch nur noch unbedeutende Rollen übrig blieben.

Für die Figuren an sich interessiert sich Allen jedoch kaum, selbst die bedeutendsten werden kaum vertieft, dürfen wie Hemingway höchstens Karikaturen sein. Viel mehr als Namesdropping ist es also nicht, was Midnight in Paris da tut. Und auch die Geschichte selbst ist für sich genommen kaum erwähnenswert, begnügt sich mit der Aneinanderreihung kurioser Begegnungen. Und doch machen diese eben Spaß, so viel Spaß, dass der Film eindeutig zu den stärksten Allens in den letzten Jahren zählt. In warmen Farben nimmt uns der Veteran mit auf eine Reise in die Vergangenheit, aber auch eine in die Welt der Träume, lässt uns seufzen und schwärmen. Nur manchmal klopft dann doch noch die Realität an die Tür, wenn in einem Gespräch plötzlich (und unpassend) der Irakkrieg thematisiert wird. Lange aber haben diese Fremdkörper nicht Bestand, denn schon nähern wir uns wieder Mitternacht, lassen materielle Zwänge hinter uns und dürfen im Reigen großer Künstler endlich der sein, der wir sind. Oder der, der wir immer sein wollten.



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„Midnight in Paris“ ist Hommage an Paris und die großen Künstler der 1920er zugleich. Viel Sinn ergibt das nicht, geht auch zu keiner Zeit in die Tiefe. Aber Allens Spätwerk macht Spaß, lässt uns durch seine absurden Situationen lachen und von einem anderen Leben träumen.
8
von 10