Agatha Christie

Agatha Christie [Special]

Eine Wette soll es gewesen sein, so hieß es damals, die Agatha Christie dazu veranlasste, 1916 „The Mysterious Affair at Styles“ (dt. „Das fehlende Glied in der Kette“) zu schreiben. Die Aufgabe: einen Kriminalroman zu verfassen, auf dessen Lösung der Leser nicht kommt, obwohl ihm dieselben Hinweise zur Verfügung stehen wie dem Detektiv der Geschichte. Das mag damals nur ein Marketinggag gewesen sein, klar ist, dass mit diesem Buch eine der größten Schriftstellerkarrieren überhaupt begann. 65 weitere Krimis sollten in den nächsten Jahrzehnten erschienen, dazu 14 Bände mit Kurzgeschichten und diverse Theaterstücke. Und das obwohl die Verlage zunächst kein Interesse an Christies Debüt hatten, erst 1920 durfte das Publikum darüber nachdenken, wer die wohlhabende Emily Inglethorp ermordet hat.

Heute ist die anfängliche Ablehnung kaum vorstellbar, die Bücher haben sich mehr als zwei Milliarden Mal verkauft – manche sprechen sogar von 4 Milliarden – Christie steht im Guinness Buch der Rekorde als erfolgreichste Romanautorin aller Zeiten. Dabei sind die meisten ihrer Krimis relativ unspektakulär, tendenziell handlungsarm, enthalten keine großen Verfolgungsjagden oder Schießereien, wie man von anderen Genreschriftstellern kennt. Vielmehr gleichen die Bücher großen Puzzles, die es zu lösen gilt. Vertrackte Rätsel, die von Tatverdächtigen und falschen Hinweisen nur so wimmeln, und mit denen man es sich im Sessel gemütlich macht.

Oder auch vor dem Fernseher, denn viele Bücher wurden für Kino oder TV adaptiert. Alleine 35 Filme für die große Leinwand wurden produziert, der erste im Jahr 1928 – The Passing of Mr. Quin, die Umsetzung einer Kurzgeschichte. Hinzu kommen unzählige Fernsehfilme und Serien, viele davon jedoch erst nach Christies Tod, da sie dem Medium sehr kritisch gegenüber stand. Einige dieser bewegten Versionen wurden selbst zu Klassikern, gerade die humorvollen Miss-Marple-Filme mit Margaret Rutherford, Zeugin der Anklage aus dem Jahr 1957 oder auch der oscargerkönte Hercule-Poirot-Krimi Mord im Orient-Express (1974) haben die Zeit überstanden. Doch was ist mit dem Rest? Was taugen die vielen Filme und Serien? Anlässlich des 125. Geburtstages der Queen of Crime, welcher heute gewesen wäre, werfen wir einen Blick zurück auf über 40 Adaptionen aus den letzten acht Jahrzehnten. In den Galerien unten findet ihr sämtliche unserer Rezensionen, ein Klick auf das Szenenbild bringt euch zum jeweiligen Artikel.

Hercule Poirot

Wer Agatha Christie sagt, muss auch Hercule Poirot sagen. Aus gutem Grund. Der belgische Meisterdetektiv mit dem Eierkopf, dem auffallenden Schnurrbart und den Lackschuhen war nicht nur der Protagonist von Christies besagtem erstem Roman „The Mysterious Affair at Styles“, sondern spielte in knapp der Hälfte ihrer Bücher die Hauptrolle. Deswegen dauerte es auch nicht lange bis zu den ersten Versuchen, den überheblichen Exzentriker und seinen berühmten grauen Zellen gerecht zu werden. Doch weder die diversen Verfilmungen aus den frühen 30ern noch Tony Randalls humorvolle Interpretation in Die Morde des Herrn ABC hinterließen einen bleibenden Eindruck. Erst in den 70ern sollte sich das ändern: Albert Finneys Auftritt in Mord im Orient-Express gehört zum Pflichtprogramm jedes Poirot-Fans, Tod auf dem Nil war der erste von sechs Filmen mit Peter Ustinov als brillantem Schnüffler. Absurd hochkarätig besetzt waren beide, die Ustinov-Variante setzte aber wieder ein wenig mehr auf Komik. Der dritte große Darsteller der Romanfigur gab 1989 sein Debüt: David Suchet verkörperte gleich 70 Mal den etwas anderen Ermittler – was nahezu alle Fälle abdeckt, die je veröffentlicht wurden – und gilt mit seiner originalgetreuen Interpretation für viele als der ultimative Hercule Poirot.

Miss Marple

Auf Nummer zwei der Beliebtheitsskala rangierte schon früh eine Heldin, die so ganz anders war als der elegant-eingebildete Hercule Poirot. Statt auf Deduktion setzte die ältere Dame eher auf Intuition, kam den Tätern auf die Spur, indem sie nach Analogien zu den Einwohnern in ihrem kleinen Dorf St. Mary Mead suchte. Ihren ersten Auftritt hatte sie in einer 1927 veröffentlichten Kurzgeschichte, der erste von zwölf Romanen – „Mord im Pfarrhaus“ – erschien 1930. Bis sie das erste Mal auf der großen Leinwand zu sehen war, sollten über 30 Jahre vergehen. Ihr spätes Debüt hing natürlich zum einen mit dem sehr viel spärlicheren Ausgangsmaterial zusammen, aber auch mit den Geschichten an sich: Aufgrund ihres Alters, später auch aufgrund körperlicher Gebrechen, verließ Miss Marple fast nie das Dorf. Das war zwar eine gute Voraussetzung für interessante zwischenmenschliche Momente und Porträts des englischen Dorflebens, war jedoch weniger für aufregende Bilder prädestiniert. Aus dem Grund entfernten sich die vier Filme mit Margaret Rutherford auch stark von der Vorlage: Gerade mal einer der vier Streifen beruhte auf einem tatsächlichen Marple-Roman, die anderen waren sehr freie Interpretationen, in der aus der zierlichen Dame eine wehrhafte Dampfwalze mit lockerem Mundwerk wurde. Die Filme selbst wurden zu Klassikern, auch ihres Humors wegen, Christie selbst war jedoch weniger davon angetan, was aus ihrer Figur gemacht worden war. Nicht wenige ziehen daher Joan Hicksons Interpretation vor, die ab 1984 in der BBC-Reihe die Hauptrolle spielte: Die Verfilmungen der zwölf Romane hielten sich sehr viel stärker an die Vorlage, setzen auf Atmosphäre anstatt auf Action und Komik. Von den anderen Adaptionsversuchen ist sonst nur noch die Fernsehserie Marple mit Geraldine McEwan bzw. Julia McKenzie erwähnenswert, die in sechs Staffeln die Bücher sehr frei interpretierte.

Andere Ermittler

Neben Hercule Poirot und Miss Marple ersann Agatha Christie noch eine Reihe weiterer wiederkehrender Protagonisten. Da wären zum einen die Nebenfiguren aus dem Umfeld der beiden Dauerbrenner, etwa Poirots Gehilfe Arthur Hastings, die Autorin Ariadne Oliver – ein Alter Ego von Christie –, Miss Marples Neffe Raymond West und diverse Polizisten. Aber auch bei den Ermittlern gab es einige weniger bekannte Kollegen: Da wäre zum einen der mysteriöse Harley Quin (ein Wortspiel auf Harlequin), der plötzlich auftaucht und verschwindet, dabei immer als Katalysator für die Lösung des Falls dient. Die Figur tauchte in mehreren Kurzgeschichten auf, eine davon bildete die Grundlage für den allerersten Agatha-Christie-Film The Passing of Mr. Quin. Detektiv Parker Pyne war ebenfalls eher ungewöhnlicher Natur und sah seine Aufgabe darin, Klienten zu Glück zu verhelfen. Auch Pyne war der Held mehrerer Kurzgeschichten, zwei davon wurden in der Fernsehserie Die Agatha Christie Stunde verfilmt. Aus deutscher Sicht am interessantesten sind die Abenteuer von Thomas und Tuppence Beresford, zum einen weil deren Serie Detektei Blunt Anfang des Jahres auf Deutsch erschien, aber auch weil deren Debüt in dem Roman „Ein gefährlicher Gegner“ 1929 unter dem Titel Die Abenteurer GmbH von einem deutschen Studio adaptiert wurde – der zweite Christie-Film überhaupt und der erste aus dem Ausland. Eine dritte Version lief dieses Jahr in Großbritannien unter dem Titel Partners in Crime, verfilmt von der BBC anlässlich des 125. Geburtstages von Christie. Neben „Ein gefährlicher Gegner“ erschienen noch drei weitere Romane und ein Kurzgeschichtenband mit den beiden. Das Besondere hierbei ist: Tommy und Tuppence waren keine genialen Detektive, sondern abenteuerhungrige Jugendliche, mit denen man sich identifizieren konnte, die im Laufe ihres Romanlebens heirateten, Kinder bekamen und alt wurden – parallel zu Agatha Christie selbst. Nur bedingt eine literarische Vorlage hat die französische Serie Agatha Christie: Mörderische Spiele: Während die Fälle selbst auf Büchern basieren, wurden die zwei Ermittlerduos der beiden Staffeln extra fürs Fernsehen geschrieben.

Weitere Geschichten

Auch wenn die Bücher mit den wiederkehrenden Helden den Löwenteil von Agatha Christies Werks ausmachten, es gab auch Einzelwerke ohne große Bezüge zu anderen Büchern. Das bekannteste davon ist das 1939 erschienene „Und dann gabs keines mehr“: Über 100 Millionen Exemplare wurden von dem Mystery-Thriller über ein tödliches Wochenende auf einer Insel verkauft, was den Roman zu einem der erfolgreichsten aller Zeiten machte. Wenig überraschend ist das Buch daher auch eines der am häufigsten verfilmten, wobei sich fast alle an der Theaterversion orientieren. Lediglich das russische Das letzte Weekend griff das Originalende auf und hielt sich auch sonst an den sehr düsteren Ton des Buches. Ebenfalls bei Filmemachern beliebt ist Love From A Stranger, welches als Bühnenstück bekannt wurde, und fünf Mal in Filmform umgesetzt wurde – darunter auch zweimal in Deutschland. Überraschenderweise wurde „Die Mausefalle“, immerhin das am längsten laufende Theaterstück aller Zeiten, größtenteils ignoriert: Lediglich ein bengalischer und ein russischer Film nahmen sich des Themas an, schafften aber nie den Weg in den Westen.

Filme rund um Agatha Christie

Wer dermaßen Literatur und Film beeinflusst wie die britische Krimiautorin, der wird früher oder später auch selbst zum Inhalt von mal mehr, mal weniger ernst gemeinten Filmen – sowohl als Dokumentation (zum Beispiel Der Agatha Christe Code) wie auch als Spielfilm. Prominent besetzt ist Das Geheimnis von Agatha Christie, welches das bis heute ungeklärte Verschwinden der Schriftstellerin im Jahr 1926 thematisiert und daraus eine Mischung aus Drama und Thriller machte. Sehr viel humorvoller ist das fiktive Aufeinandertreffen von Christie und Hercule Poirot in dem Fernsehfilm Murder by the Book. Übertroffen wird das nur noch von Eine Leiche zum Dessert, wo fünf berühmte Detektive – darunter Poirot und Miss Marple – durch den Kakao gezogen werden. Und das gesamte Krimigenre gleich mit.

Comics

Neben zahlreichen Adaptionen fürs Kino und Fernsehen entstanden auch mehrere Comics, die auf den Romanen von Agatha Christie basieren.

Agatha Christie Portraet

Agatha Miller wurde am 15. September 1890 in der englischen Kleinstadt Torquay geboren. 1913 heiratete sie den Offizier Archibald Christie, dessen Nachname sie auch nach der Scheidung 1928 beibehielt. Ihr erster Roman „The Mysterious Affair at Styles“ erschien 1920, wo sie auch ihre berühmteste Figur einführte: der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot. Ihre zweite bekannte Erfindung war die der neugierigen Altjungfer Miss Marple. Insgesamt erschienen 66 Kriminalromane der Autorin, 14 Sammelbände sowie Liebesgeschichten unter einem Pseudonym. Christie starb am 12. Januar 1976.



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