Kumiko the Treasure Hunter

Kumiko, the Treasure Hunter

(„Kumiko, the Treasure Hunter“ directed by David Zellner, 2014)

Kumiko the Treasure Hunter
„Kumiko, the Treasure Hunter“ ist im Rahmen des japanischen Filmfestivals Nippon Connection (2.-7. Juni 2016) in Frankfurt am Main zu sehen

Der graue Alltag hat der 29-jährigen Kumiko (Rinko Kikuchi) schon lange keine Freude mehr zu bieten: Wenn sie nicht gerade bei der Arbeit unter ihrem herablassenden Boss oder den zickigen Kolleginnen zu leiden hat, dann ist es ihre Mutter, die ihr schwer zusetzt und ihr Single-Dasein kritisiert. Halt findet die Tokioterin lediglich in ihrem kleinen Kaninchen Bunzo und einer VHS-Kassette von „Fargo“. Überzeugt davon, dass der in dem Film vergrabene Schatz noch immer dort liegt, notiert sie sorgfältig jeden Hinweis auf den Ort. Als sie eines Tages die Kreditkarte ihrer Firma anvertraut bekommt, nutzt sie die Chance, um so in die USA zu fliegen und dort auf Schatzsuche zu gehen.

Was geschah wirklich mit der Japanerin Takako Konishi, die im November 2001 in einem Feld in Minnesota tot aufgefunden wurde? Später deutete alles darauf hin, dass die Endzwanzigerin sich das Leben nahm, nachdem sie ihre Arbeit und damit jegliche Lebensperspektive verloren hatte. Die Medien jedoch hatten damals eine ganz andere Erklärung: Konishi soll auf der Suche nach dem Schatz aus Fargo gewesen und dabei ums Leben gekommen sein. Während die tatsächlichen Hintergründe schon 2003 in der Dokumentation This Is a True Story von Paul Berczeller beleuchtet wurden, nehmen sich bei Kumiko, the Treasure Hunter David und Nathan Zellner des Mythos an.

Und wer wäre dafür besser geeignet als die beiden Brüder? Schon bei ihrem letzten Film, der verstörenden Indieperle Kid-Thing, zeigten sie eine Protagonistin während ihrer Alltagsflucht und ließen dabei die Grenzen zwischen Realität und Traum weit offen. Aus dem amerikanischen Provinzmädchen wurde hier zwar eine erwachsene Tokioterin, doch auch Kumiko ist weit davon entfernt, einen Platz im Leben gefunden zu haben. Ob sie nun gerade Nudeln an ihr Kaninchen verfüttert, einen Lageplan stickt oder am Kabelsalat ihres VHS-Spielers verzweifelt, man hat hier nie wirklich das Gefühl, die Japanerin sei Herrin der Lage.

Natürlich ist das skurril, fast schon albern, wie Kumiko ihrem irren Traum hinterher rennt. Und doch begegnen die Zellners ihrer „Heldin“ mit viel Sympathie, geben sie nie der Lächerlichkeit preis. Mag das Umfeld darüber spotten oder sie kritisieren, mit einer bewundernswerten Beharrlichkeit folgt sie ihrem Weg bis zum Schluss und kommt dabei viel weiter, als sie es eigentlich dürfte. Realistisch ist Kumiko, the Treasure Hunter daher natürlich nicht, vielmehr gleicht die seltsame Schatzsuche einem Märchen, ist lebensbejahend und tieftraurig zugleich.

Viele Dialoge brauchen die Brüder auch nicht, um ihre Geschichte zu erzählen, das übernehmen die betörenden Bilder und die melancholische, reduzierte Musik schon. Dass sie Rinko Kikuchi für die Hauptrolle gewinnen konnten, die zuletzt mehr im Blockbusterkino zu Hause war (Pacific Rim, 47 Ronin), ist für die Filmemacher wie auch fürs Publikum ein Glücksfall. Wenn sie mit gesenktem Haupt und sprachlos durch die Gegend schleicht und dabei die Last der Welt auf den Schultern zu tragen scheint, ist es nahezu unmöglich kein Mitgefühl zu entwickeln für diese Frau, die in dieser Welt einfach keinen Platz findet und sich auch deshalb in ihren Traum rettet.

Traumhaft sind aber auch die Aufnahmen, vor allem in der zweiten Hälfte: weite Landschaften, zarte Schneewehen, die auf den dunklen Straßen tanzen, und mittendrin Kumiko in ihrem roten Mantel, den sie bis zum Schluss nicht ausziehen wird und der nicht zufällig an Rotkäppchen erinnert. „Komm nicht vom rechten Wege ab“, lautete dort die Moral immer. Und gleiches möchte man auch Kumiko zurufen. Aber was ist dieser rechte Weg eigentlich? Kann der wirklich darin bestehen, sich einem Büroalltag und einem unsympathischen Chef zu unterwerfen? Mann und Kinder zu suchen, wie es die Mutter fordert? Floskelhaftes Geplapper, wie es Kumikos frühere Freundin so gern hat, der sie irgendwann zufällig auf der Straße begegnet? Ob es diesen richtigen Weg gibt oder nicht, ob die Schatzsuche Käfig oder Freiheit bedeutet, das lässt Kumiko, the Treasure Hunter offen, indem Traum und Alltag auch zum Schluss kaum voneinander zu trennen sind. Es bleibt dem Zuschauer überlassen, welche Lehre er aus der Reise zieht.

Ein Film für die Massen ist das – wie von den Zellners gewohnt – natürlich nicht, weshalb es bis heute auch keinen offiziellen Kinostart hierzulande dafür gibt. Dafür ist das Drama ein gern gesehener Gast auf Festivals, etwa beim letztjährigen Sundance oder auch der Berlinale. Und auch beim japanischen Filmfestival Nippon Connection in Frankfurt am Main wird Kumiko, the Treasure Hunter nächste Woche laufen. Wer dort in der Nähe wohnt und für ungewöhnliche Geschichten zu haben ist, sollte spätestens jetzt die Gelegenheit nutzen und mit auf eine etwas andere Schatzsuche gehen.



(Anzeige)

Und den Schatz gibt es doch! Entgegen aller Warnungen begibt sich in „Kumiko, the Treasure Hunter“ eine Frau auf eine Reise, um ihr Glück zu finden. Das ist skurril-komisch und tieftraurig zugleich, und nicht zuletzt aufgrund einer bewegenden Hauptdarstellerin und der betörenden Bilder ein Tipp für die Freunde kleiner, eigenwilliger Filme.
8
von 10