Coraline

(„Coraline“ directed by Henry Selick, 2009)

CoralineEin junges Mädchen als Protagonistin, eine düstere Umgebung – der 53. Beitrag in unserem fortlaufenden Animationsspecial hat so einiges mit seinem Vorgänger Vampire Princess Miyu von letzter Woche gemeinsam. Doch während dort traurige Schicksale im Mittelpunkt standen, ist es diesmal ein fantasievolles, streckenweise bizarres Abenteuer.

Viel schlimmer kann es kaum noch kommen. Erst schleppen ihre Eltern die 11-jährige Coraline in ein abgelegenes, schäbiges Wohnhaus, das sie sich mit eigenartigen Nachbarn teilen muss. Dann haben die beiden wegen der vielen Arbeit keine Zeit für sie. Und als sie sich notgedrungen allein im Wald etwas Unterhaltung sucht, trifft sie auch noch auf den nervtötenden Jungen Wybie, der ihr fortan immer hinterherläuft. Selbst die mysteriöse kleine Tür im Haus entpuppt sich als Enttäuschung, denn dahinter ist eine ganz gewöhnliche Wand. Bis Coraline eines Nachts einer Maus folgt und entdeckt, dass die Tür in eine Parallelwelt führt, in der sämtliche Träume in Erfüllung gehen und die Menschen Knöpfe als Augen haben.

Noch bevor Kult-Autor Neil Gaiman („Sandman“, „American Gods“) die Arbeit an seinem neuesten Roman „Coraline“ beendet hatte, bot er ihn Henry Selick zur Verfilmung an. Und naheliegend war die Idee ja, hatte der amerikanische Regisseur zuvor doch schon bei The Nightmare Before Christmas und James und der Riesenpfirsich gezeigt, wie gut er den Spagat zwischen düsterem Ambiente und familienfreundlicher Unterhaltung beherrschte. Beides ist dann auch hier wieder gegeben, wenn die junge Heldin à la Alice im Wunderland einem Tier in eine bizarre Welt folgt und dort Abenteuer erlebt.

Wie bei seinen vorangegangen Filmen wandte Selick auch hier die inzwischen recht selten gewordene Stop-Motion-Technik an und fand dabei mit dem spezialisierten Animationsstudio Laika (Corpse Bride, ParaNorman) den idealen Partner. Rein optisch gesehen hat Coraline im Vergleich zu Selicks Meisterwerk The Nightmare Before Christmas sogar noch einmal zugelegt. Kein Wunder, waren doch inzwischen 16 Jahre vergangen, bei der Adaption der Geschichte standen dieses Mal ganz andere Mittel zur Verfügung. Und tatsächlich gelang es hier, die traditionelle Methode der Einzel-Bild-Aufnahme mit modernsten Rechnerkünsten zu verschmelzen: Wenn Coraline durch Miniaturlandschaften bewegt wird, bewahrt das typischen, etwas entrückten Charme von Stop-Motion-Animationen, zusammen mit den zeitgemäßen Effekten bietet der Film einen fantastischen Anblick.

Und auch bei den Designs muss sich Coraline nicht vor dem großen Vorbild verstecken: Gerade die Nebenfiguren schwanken zwischen eigenwillig, skurril und grotesk, während wir mit Coraline durch den Geheimgang kriechen, verwandelt sich das dröge Landhaus in einen Ort, der vor exzentrischen Details und wundersamen Objekten überquillt. Sehr schön ist zudem das Spiel mit den Farben: Um die reale von der Traumwelt deutlich unterscheiden zu können, wurde die erstere in blassen, kalten Tönen gehalten. Ganz anders das Reich jenseits der Tür, das deutlich aufgedrehter und knalliger ist, ein surreal strahlender Bonbon-Karneval.

Nicht ganz so auffällig ist hingegen der Inhalt. Schon als Gaiman Selick die Filmrechte anbot, befürchtete Letzterer, dass die literarische Vorlage gerade mal für 47 Minuten reichen würde. Um aus dem Buch doch noch zwei Stunden Laufzeit herauspressen zu können, wurde dieses abgeändert und erweitert, etwa um die Figur des Wybie. Dennoch ist das Ergebnis etwas dünn, an vielen Stellen mehr Atmosphäre denn Geschichte. So sehr Coraline visuell brillieren mag, aufgrund der gelegentlichen Ereignislosigkeit kann es der Film dann doch nicht mit dem Halloween-/Weihnachts-Kultstreifen aufnahmen, auch die Musik ist nicht annähernd so mitreißend.

Für sich genommen ist Selicks bislang letzte Regiearbeit trotz allem ein Muss für jeden kleinen wie großen Animationsfreund. Allzu jung sollte das Publikum jedoch nicht sein, denn auch wenn Gaiman die Geschichte für seine eigenen Kinder schrieb, es hier viel zu bestaunen gibt und sogar eine Moral am Ende rausspringt – auf dem Cover steht nicht umsonst „pass auf, was du dir wünschst“, Coraline handelt letzten Endes auch davon, als Kind seinen Platz in dieser Welt zu finden – so bieten einige der Traumfiguren doch genügend Stoff für Alpträume. Andererseits haben so auch Erwachsene eine perfekte Entschuldigung, sich den vermeintlichen Kinderfilm gemeinsam anzuschauen.

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„Coraline“ zeigt, dass die aus der Mode gekommene Stop-Motion-Technik auch im 21. Jahrhundert noch fantastische Geschichten erzählen kann. Die Designs sind kreativ, die mit modernen Effekten aufgewertete Optik insgesamt oft atemberaubend. Zwischendurch wird es inhaltlich manchmal jedoch etwas ereignislos, da verlässt sich der Film zu sehr auf seine surreal-düstere Atmosphäre.
8
von 10