Hirngespinster
Szene aus „Hirngespinster“ (© movienet)

Christian Bach [Interview]

Wie bist du zum Film gekommen? 

Ich hab hier an der HFF in München Regie studiert und 2009 abgeschlossen mit einem Kurzfilm. Danach hab ich ein Stipendium für die Drehbuchwerkstatt München bekommen. Das ist ein ziemlich gutes Autorenprogramm, wo zehn Autoren genommen rund ein Jahr betreut werden. Das mal in Kürze mein Werdegang. Ich hab natürlich vorher schon mit Filmen zu tun gehabt und wollte auch immer zum Film.

Immer mit dem Ziel, Regie zu führen?

Ja. Bei „Hirngespinster“ habe ich auch das Drehbuch geschrieben, aber das hab ich sowieso immer bei meinen Filmen bisher gemacht. Ich bin also auch Drehbuchautor.

Gehört das für dich zusammen, Regie und Drehbuch?

Nicht zwangsweise, nein. Es gibt auch super Filme, wo das getrennt ist. Ich hätte auch absolut kein Problem damit, ein gutes Drehbuch von jemand anderem zu verfilmen. Das würde mich sogar sehr reizen, weil es sehr schwierig ist, ein sehr gutes Drehbuch zu schreiben. Aber am Anfang als Regisseur, da bist du oft gezwungen, selber zu schreiben. Die guten Bücher warten nicht auf einen Debütregisseur, die guten Bücher warten auf die Etablierten.

Könntest du dir umgekehrt auch vorstellen, für jemand anderen zu schreiben?

So wie ich mich mittlerweile kenne, nein. Da ist irgendwann so viel Herzblut drin, dass ich es ungern wieder weggebe. Aber sagen wir mal so, wenn jemand zu mir kommt und sagt: „Du, schreib mal schnell. Regie haben wir schon“. Und ich in dem Moment nicht weiß, wo die Miete herkommen soll in den nächsten Monaten, könnte ich mir vorstellen, das zu machen. Aber unter idealen Bedingungen, wenn ich schon schreibe, dann für mich.

Und woher nimmst du die Ideen für deine Drehbücher? Wie bist du auf die Geschichte von „Hirngespinster“ gekommen?

Die geht zurück auf eine wirkliche Familiengeschichte aus meinem näheren Umfeld. Bei der Drehbucharbeit habe ich mich aber wieder relativ weit davon entfernt, viel verdichtet und noch dazugedichtet, extern auch noch viele andere Sachen recherchiert. Das hab ich gemacht aus rein dramaturgischen Gründen, aber natürlich auch aus Diskretion und Respekt vor der Familie der Betroffenen.

Stichwort Diskretion: Es ist in „Hirngespinster“ ja so, dass niemand offen über die Krankheit spricht. Über körperliche Krankheiten kann man heute einigermaßen offen reden, über psychische nicht. Warum denkst du, dass das heute noch ein Tabuthema ist?

Tabu finde ich immer ein sehr großes Wort, kann aber durchaus in einigen Teilen stimmen. Das ist mir auch in meinen Recherchen begegnet. Wenn ich Leuten erzählt habe, woran ich gerade arbeite, kannten die fast immer irgendjemanden, bei dem das ähnlich war. „Das klingt ja wie mein Nachbar. Das klingt ja wie mein Onkel.“ Und trotzdem weiß man erstaunlich wenig über diese Krankheit. Da wird nicht drüber geredet, es gibt viel Halbwissen, gefährliches Halbwissen. Was den Umgang mit psychischen Krankheiten angeht, klar, da hast du recht. Über eine Lungenentzündung kann man locker reden, über ein gebrochenes Bein, sogar über eine Krebserkrankung redet man mittlerweile relativ offen. Aber sobald es um psychische Krankheiten geht, ist da ganz viel Unbehagen da. Angst vor den Betroffenen. Dabei sind normale Menschen prozentual viel gewalttätiger als psychisch Kranke. Die meisten sind wenn dann autoaggressiv. Was uns aber auffällt oder in den Medien kommt sind natürlich die Fälle, wo jemand mit der Axt auf Nachbarn losgeht.

Vorher merkt man es oft ja auch nicht. Bei Hans ist es doch so, dass er nicht die ganze Zeit die Probleme hat und sie auch nicht von Anfang an hatte, sondern dass es ein schleichender Prozess ist. Was dann natürlich die Frage aufwirft: Wann ist ein Verhalten noch normal, wann wird es zur Krankheit?

Das wäre mal eine spannende Frage an Psychiater, wie die das eigentlich trennen. Da gab es ja den ganz berühmten Fall neulich von Gustl Mollath, der acht Jahre in der Psychiatrie verbracht hat. Zu Unrecht. Das muss man sich mal vorstellen, da war jemand jahrelang in einer Fachklinik, der pathologisch eigentlich normal ist. Und niemand merkt das. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Leute mit Psychosen, da sieht man selbst als Laie, dass die völlig am Rad drehen und Hilfe brauchen. Aber natürlich ist das ein fließender Übergang. Ich glaube, wir haben alle mal Phasen in unserem Leben, wo wir uns entrückt fühlen von der Wirklichkeit. Bei Schlafentzug. Drogen, ein Paradebeispiel. Irgendwelche emotionalen Ausnahmezustände, Liebeskummer. Da habe ich auch schon bei normalen Leuten Zustände erlebt, wo man denkt: Leute, ihr seid nicht mehr normal. Ob das jetzt schon pathologisch ist, ist aber eine andere Frage. Ich sag immer: Gesund ist, wer mit seinem Wahnsinn gut leben kann.

Ein anderes Thema des Films ist, was Kinder von ihren Eltern erben. Nicht nur Vorlieben, sondern auch schlechte Angewohnheiten bis eben zu psychischen Krankheiten. Was denkst du, spielt bei Menschen eine größere Rolle: Was von den Eltern vorgegeben ist oder das, was originär vom Einzelnen kommt?

Meine persönliche Meinung? Ich finde die Fragestellung ja schon sehr spannend, weil es ja jeden betrifft. Irgendwo haben wir uns ja alle schon mal die Frage gestellt: Was habe ich eigentlich von meinen Eltern? Und will ich das überhaupt? Ich habe das immer etwas überhöht ausgedrückt: Sind wir die Herren unseres Schicksals oder sind wir nur die Sklaven unserer Gene? Ich glaube schon, dass es gewisse Dispositionen oder Prägungen gibt, die auch vererbt sein können. Ich glaube aber auch, dass der Mensch durchaus das Potenzial hat, diese Dinge zu erkennen und man es auch schaffen kann, dagegen anzukommen. Simon hat am Ende ja auch die Chance, ein relativ normales Leben zu führen, trotz dem, was er da erlebt hat, auch die ganze soziale Isolierung, die da stattgefunden hat.

Wobei er das aber tut, indem er ein bisschen mit der Familie bricht und weg geht.

Das ist klar, einen Preis zahlt man immer dafür. Es ist natürlich ein hoher Preis, den er da zahlt. Und das kann man natürlich auch hinterfragen, inwiefern man da Verantwortung zeigen muss. Ich glaube aber, dass er das Recht hat zu gehen. Das glaube ich ganz stark. Dass er das Recht hat, jetzt mit 22-23 sein eigenes Leben zu leben. Und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

Obwohl Simon am Ende seinen eigenen Weg geht, so ein richtiges Happy End hat der Film ja nicht. Und auch sonst gibt es nicht viel zu lachen. Macht man es sich mit einem derart düsteren Thema nicht ein bisschen schwer, gerade bei einem Debütfilm, wo es auch darum geht, sich bekannt zu machen?

Hmm, das werde ich wahrscheinlich erst in fünf oder zehn Jahren beantworten können. Ich kann nur sagen, dass es natürlich Diskussionen gab, auch von den Leuten, die ihr Geld in den Film steckten. Aber ich selber habe mir die Frage nie gestellt, weil es für mich einfach wichtig und zwingend war, wahrhaftig zu sein. Ehrlich zu sein. Und ich glaube auch nicht, dass ein Film immer ein Happy End haben muss, um anzukommen. Es gibt viele Beispiele in der Filmgeschichte mit düsteren, ganz krassen Enden, die aber trotzdem sehr erfolgreich gewesen sind, weil die Zuschauer vielleicht spüren, diese Filme sind ehrlich und richtig und trotzdem emotional bewegend. Mir war es wichtig, einen Film zu machen, den man gerne kuckt, der spannend ist, der aber gleichzeitig auch aufrichtig ist.

Wie würdest du denn deine Aufgabe als Filmemacher definieren? Einige möchten ja einfach nur unterhalten, du willst offensichtlich mehr.

Ich möchte auch unterhalten. Mein erster Anspruch ist sogar, einen unterhaltsamen Film zu machen. Ich glaube aber, dass es bei der Unterhaltung eine große Spannweite gibt. Es gibt reine Zerstreuung, das will ich nicht. Gute Unterhaltung ist für mich, dass Herz und Kopf etwas haben. Dass beide also gefordert sind. Dass die erste Frage nach dem Kinobesuch nicht ist: Gehen wir in die Kneipe oder die Kneipe? Sondern dass man erst einmal ein paar Worte über den Film verliert. Und auch unterhalten wurde in dem Sinne: Es war spannend. Dass man wirklich wissen wollte, wie es weiter geht. Das ist für mich gute Unterhaltung. Ich würde mich auch mit Händen und Füßen wehren, wenn jetzt jemand von mir behauptet: Das ist unser Experte für dramatische Familiengeschichten. Oder der Typ für diese Psychofilme. Dafür interessieren mich viel zu viele andere Geschichten und Inhalte, auch Formen und Genres. Ich könnte mir vorstellen, Thriller zu machen. Krimis zu machen.

Und woran arbeitest du konkret? Was sind deine nächsten Projekte?

Ich habe so ein paar komödiantische Sachen im Blick, darunter eine schwarze Komödie fürs Fernsehen über eine Familie, dessen Vater wegen einer Arztphobie lieber sterben will, als sich behandeln zu lassen. Und für’s Kino ein action-reiches Drama, formell angelegt wie eine Art Western-Roadmovie, über einen Schlepper, der mit einem verwaisten Flüchtlingskind die Seiten wechselt und dessen Onkel sucht.

Christian Bach Interview
Christian Bach (Foto: Janosch Feucht)

1977 in Düsseldorf geboren studierte Christian Bach zunächst Literatur, Soziologie und Geschichte, widmete sich dann aber komplett dem Film. Sein mehrfach ausgezeichnetes Langfilmdebüt Hirngespinster erzählt die Geschichte eines Architekten, der an Schizophrenie leidet und den Versuchen der Familie, trotz dieser Krankheit ein normales Leben zu führen. Seit dieser Woche ist die Drama auch im Handel erhältlich.



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