Coming In

Coming In

(„Coming In“ directed by Marco Kreuzpaintner, 2014)

1629_Mainart_ComingIn.inddSchön, wenn man einen Namen hat, der alleine schon ausreicht, um der Zielgruppe das Geld aus den Taschen zu ziehen. So wie bei Tom Herzner (Kostja Ullmann). Der offen homosexuelle Friseur hat zwar seit Jahren keine Schere mehr in die Hand genommen, sein Edelladen kann sich vor Anfragen aber kaum noch retten. Und dass sein neues Shampoo zum Verkaufsschlager bei den stilbewussten Männern Berlins wird, das steht ebenfalls außer Frage. Noch schöner wäre es allerdings, wenn es auch ein Pendant für die Dame gäbe, um gleich doppelt abzuräumen. Aber wie soll Tom den Geschmack von Frauen treffen, wenn er vom anderen Geschlecht keine Ahnung hat? Antworten soll ein Feldversuch liefern: Tom heuert bei der bodenständigen Kiezfrisörin Heidi (Aylin Tezel) an, lernt tatsächlich die holde Weiblichkeit kennen – und auch lieben.

Dass sich ein Mensch plötzlich in das „falsche“ Geschlecht verliebt, das kommt in Filmen immer mal wieder vor. Doch egal, ob es nun um jugendliche Grenzerfahrungen geht (Beautiful Love) oder es einen erst im Erwachsenenalter (Freier Fall) erwischt, das Ergebnis ist doch immer im Drama-Genre angesiedelt, flirtet maximal hin und wieder mit dem Thriller (Animals, Liebesbriefe eines Unbekannten). Doch eine Komödie ist selten, und wenn die dann auch noch in die entgegensetzte Richtung stattfindet – ein Schwuler entdeckt seine heterosexuellen Neigungen – stellt sich natürlich die Frage: Ist das jetzt originell oder reaktionär?Coming In Szene 1

Dass Coming In sich geradezu in Schwulenklischees badet, macht die Sache nicht leichter: Sämtliche homosexuellen Männer sind makellos gestylt, völlig überkandidelte Paradiesvögel oder entdecken in jedem gleich die große Liebe. Und wenn die dann nicht einmal von schwulen Schauspielern verkörpert werden, sondern von Kostja Ullmann, Ken Duken, August Zirner oder Hanno Koffler – gerade die letzten beiden genießen ihre ungewohnten Rollen sichtlich – liegt schon der Verdacht nahe, dass sich hier kräftig über Homosexuelle lustig gemacht werden soll. Was auch stimmt, gleichzeitig wiederum nicht.

Schon ein Blick auf die Credits zeigt, dass der Film trotz des heiklen Breittretens von Stereotypen nicht ernsthaft schwulenfeindlich sein kann: Regisseur und Ko-Autor Marco Kreuzpaintner (Krabat) lebt selbst offen homosexuell, verarbeitete sein eigenes Coming Out vor zehn Jahren sogar in dem Film Sommersturm. Auch damals spielte Kostja Ullmann die Rolle eines jungen Mannes, der mit seiner sexuellen Orientierung kämpft. Indem dieser nun wieder einen Blick zurück aufs Ursprungsufer wirft, lässt Kreuzpaintner nicht nur die Grenzen weiter verwischen, er stellt zudem die unangenehme Frage, was denn nun eigentlich aus der Schwulenbewegung und ihrem Kampf für Gleichberechtigung und Toleranz geworden ist.Coming In Szene 2

Weitaus weniger interessant ist die Art und Weise, wie die Geschichte drumherum erzählt wird. Sind die Klischees aus der Schwulenszene durchaus auch eigenironisch zu verstehen, sind die der sich anbahnenden Liebesbeziehung eher mutlos. Würden bei Coming In die Vorzeichen nicht umgedreht sein, sie wäre nur eine Liebeskomödie unter vielen: Die Elemente sind bekannt, die Figuren einseitig, der Protagonist muss von der unbedeutenden Heidi einiges hinzulernen und am Ende haben sich natürlich alle wieder lieb. Unterhaltsam ist der Film dennoch, gerade der Gegensatz von Toms mondäner Schaubühne zu Heidis Pizza-Hawai- und Billigklamottenwelt erinnert an beste Die Nanny-Zeiten. Man wird hier also häufiger lachen, als man es sich insgeheim zugestehen will. Aber so wie für die komplizierte Beziehung zwischen den beiden Hauptcharakteren, gilt dann eben auch für Coming In: Erlaubt ist, was Spaß macht.



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Aufbau und Charaktere sind bei Coming In nur wenig bemerkenswert. Dennoch ist die fast übertrieben selbstironische Liebeskomödie unterhaltsam und stellt interessante Fragen zu Gleichberechtigung und Toleranz.
6
von 10