Die Nonne

Die Nonne (2013)

(„La Religieuse“ directed by Guillaume Nicloux, 2013)

Die NonneWer früher die Frage gestellt hätte, ob der Nachwuchs lieber ein Junge oder ein Mädchen werden soll, dürfte so manchen schiefen Blick geerntet haben. Nicht nur, dass männliche Nachkommen den Familiennamen weitertragen konnten, in manchen Fällen auch das Geschäft, sie waren auch günstiger. Schließlich kann ein echter Mann sich selbst versorgen. Frauen? Die müssen verheiratet werden. Und das kann recht teuer sein, so eine Mitgift zehrt ganz schön am Familienbesitz. Wenn dann auch noch mehrere Töchter zusammenkommen, ist das Desaster schon in die Wiege gelegt.

Frankreich, 18. Jahrhundert: Suzanne Simonin (Pauline Etienne) hat dieses Pech einer späten Geburt. Zwei Schwestern mussten schon vor ihr an den Mann gebracht werden, vom Familienerbe bleibt da für sie nicht viel übrig. Erschwerend kommt hinzu, dass sie ein uneheliches Kind ist, das Ergebnis einer Affäre ihrer Mutter (Martina Gedeck) mit einem deutschen Lebemann. Glücklicherweise gibt es für solche Fälle immer das Kloster als praktisches Abstellgleis. Suzanne hatte ohnehin als junges Mädchen einmal die Bemerkung fallen lassen, dass sie immer nur Jesus lieben würde. Was läge da näher, als sie zu einer Nonne zu machen?

Suzanne will davon jedoch nichts wissen, lehnt sich zunächst offen dagegen auf. Auf Drängen ihrer Mutter, der Schwestern und diverser anderer Leute, willigt sie zum Schluss aber ein – was sie bald bitter bereuen wird. Während die erste Oberin (Francoise Lebrun) ausgesprochen freundlich und nachsichtig ist, wird sie später sowohl unter deren Nachfolgerin (Louise Bourgoin) als auch einer anderen Mutter Oberin (Isabelle Huppert) zu leiden haben, auf zwei sehr unterschiedliche Weisen.Die Nonne Szene 1

Die Wanderhure, Die Pilgerin, Die Päpstin, Die Hebamme – in den letzten Jahren konnte man sich kaum mehr vor Historienfilmen retten, welche alle möglichen und unmöglichen Frauenberufe von anno dazumal abklappern. Und während die Welt noch auf die Verfilmung von „Die Seidenstickerin“ oder „Die Buchmalerin“ wartet – oder auch nicht – steht dann erst einmal Die Nonne auf dem Programm. Und doch wäre es unfair, die europäische Koproduktion in einen Topf mit den Filmen oben werfen zu wollen. Und das aus mehreren Gründen.

Der wichtigste ist, dass hier kein moderner Roman zugrunde liegt, der mit pseudohistorischen Geschichten Stoff für die Massen liefern soll. Ein Buch zum Film gibt es, das stammte aber tatsächlich aus dem 18. Jahrhundert und war von Denis Diderot geschrieben. Und dem war der Gedanke einer Anbiederung völlig fremd. Im Gegenteil: Als einer der Hauptfiguren der französischen Aufklärung kämpfte er vor rund 250 Jahren gegen bestehende Systeme an, was ihm zwischendurch auch schon mal eine Inhaftierung bescherte. „La Religieuse“, wie das Werk im Original hieß, war dann auch weniger zu Unterhaltungszwecken geschrieben, sondern um die Missbräuche in der Kirche anzuprangern.

Heute würde ein vergleichbarer Roman nur wenig Aufmerksamkeit erregen, dafür ist der Einfluss der Kirche dann doch zu gering und deren Missstände medienwirksam breitgetreten. Dennoch widerstand Regisseur Guillaume Nicloux der Versuchung, Die Nonne modernisieren zu wollen. Notwendig war das aber auch nicht, losgelöst vom religiösen Kontext widmet sich sein Film den universell gültigen Themen Machtsmissbrauch und Selbstbestimmung zu; die einzelnen Schikanen werden zwar gezeigt, gleichzeitig aber auch, welche Rolle die Gesellschaft und das gültige Frauenbild dabei spielen.Die Nonne Szene 2

Suzanne ist dann auch keine unterwürfige Jungfrau in Not. Die „Rettung“ erfolgt zwar letzten Endes durch die vernünftigen Männer – seien es Geistliche, Anwälte oder Adlige –, doch sie selbst setzt mit ihrem offenen Widerstand gegen die Bevormundung den Stein ins Rollen. Newcomerin Pauline Étienne spielt diese Figur mit einer Mischung aus Demut und Aufmüpfigkeit und erhielt dafür dieses Jahr eine Nominierung für den César als beste Nachwuchsdarstellerin. Und an den bereits etablierten Actricen Martina Gedeck (Die Wand), Louise Bourgoin  (Ein freudiges Ereignis) und Isabelle Huppert (Liebe) ist ohnehin nichts auszusetzen.

Doch trotz der geballten Schauspielerleistung, spröde ist Die Nonne schon ein wenig. Das Dekor ist einfach gehalten, die ganz großen Dramen fehlen, theatralische Musik ebenso. Auch das unterscheidet den Film von den plakativeren Bestsellerverfilmungen der jüngsten Zeit. Mit den Erwartungen, eine von denen hier zu sehen, sollte daher besser niemand an Suzannes Leidensgeschichte gehen – sonst droht Langeweile. Wer nichts gegen ruhige, etwas belehrende Filme einzuwenden hat, der darf hier jedoch ruhig einmal den Gang ins 18. Jahrhundert antreten.



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Die Nonne (2013)
fazit
Guillaume Nicloux’ Verfilmung von Diderots Aufklärerroman ist ruhiger und spröder als vergleichbare Historienfilme der letzten Zeit. Dafür gefallen die Leistungen von Pauline Étienne und ihrer etablierten Kolleginnen und die noch immer gültige Grundthematik von Die Nonne.
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