Die Pilgerin

Die Pilgerin

(„Die Pilgerin“ directed by Philipp Kadelbach, 2013)

Die PilgerinFinsteres Mittelalter? Wirklich zu der Zeit leben wollen würde vermutlich kaum einer: kein Fernseher, kein Internet, kein Handy, dafür Nahrungsmangel, überschaubare Bemühungen zur Hygiene und dann noch Leute, die dir ständig das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Okay, die gibt es heute auch noch, aber sie tragen inzwischen Anzug und haben es nur selten auf dein Leben abgesehen. Vor einigen hundert Jahren konntest du hingegen auf dem Marktplatz noch abgeschlachtet werden, ohne dass jemand Notiz davon nahm. Und doch, die Sehnsucht zu dieser ungemütlichen Zeit ist unbestreitbar. Vor allem der Brite Ken Follett sorgte mit Säulen der Erde für pralle Kassen, aber auch die Verfilmung von Der Medicus lockt gerade viele Besucher ins Kino, die ans Mittelalter angelehnte TV-Serie Game of Thrones weltweit Millionen von Zuschauern vor den Fernseher.

Da will man natürlich auch hierzulande ein bisschen was vom Kuchen abhaben. Gerade das Schriftstellerehepaar Iny Klocke und Elmar Wohlrath, besser bekannt als Iny Lorentz, schrieb mit Die Wanderhure einen historischen Roman, dem man dank Verfilmung selbst als Nichtfan kaum aus dem Weg gehen konnte. Ähnlich groß wurde auch die Werbetrommel für die Umsetzung von Die Pilgerin gerührt, ein weiteres Werk von Iny Lorentz, das die Woche der große Fernsehfilm war und einige Tage später auch schon im Handel liegt.

Die Pilgerin, das weckt üble Assoziationen, so als hätte man Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ mit dem Mittelalterboom kombiniert, selige Sinnsuche in Sack und Lumpen, die ultimative Ausschlachtung von Trends. Wer den insgesamt drei Stunden langen Fernsehfilm schaut, wird aber bald feststellen: Selig ist hier nicht. „Schrei ruhig. Dich wird niemand hören. Nicht einmal Gott. Gott ist taub“, verkündet Otfried Willinger (Volker Bruch), als er einen lästigen Menschen in seinem Umfeld tötet. Zu dem Zeitpunkt ist man das aber schon gewohnt: Verrat, Neid, Vatermord, Hexerei, Leichenverstümmelung, außerehelicher Sex, Zwangsheirat, ewige Verdammnis – was einem hier schon in der ersten halben Stunde zugemutet wird, das reicht anderen für ganze Serienstaffeln.

Die Pilgerin Szene 1

Und dabei hätte alles so nett sein können! Eckhardt Willinger (Uwe Preuss), bis eben noch im Sterbebett, erholt sich unerwartet von seiner Krankheit, als dessen Tochter Tilla (Josefine Preuß) ihm eine Medizin der örtlichen Hexe verabreicht. Friede, Freude, Eifersucht, denn Otfried (Volker Bruch), der Sohn des Kaufmanns, ist nicht glücklich über die plötzliche Genesung. Vor allem nicht, als Eckhardt verkündet, dass nicht Otfried, sondern der Verlobte von Tilla in Zukunft die Geschäfte führen soll. Jemanden zu sagen, dass man ihn enterben wird, noch bevor das Testament geändert wurde – wer auch nur einen Krimi gesehen hat, weiß, dass das keine besonders schlaue Idee ist. Und so kommt es, wie es kommen muss: Otfried tötet seinen Vater und verfolgt seine eigenen Pläne. Das bedeutet unter anderem, Tilla mit Veit Gürtler (Dietmar Bär), dem größten Händler der Stadt zu verheiraten, um so den eigenen Einfluss zu erweitern.

Bei der Schwester stößt das natürlich auf wenig Gegenliebe. Und so flieht sie aus dem heimeligen Tremmlingen nach Santiago de Compostela, um dort das Herz ihres verstorbenen Vaters zu begraben, damit der im Tod seinen Frieden findet. Verkleidet als Mann schließt sie sich einer Gruppe von anderen Pilgern an, ein jeder von ihnen mit ganz eigenen Motiven, warum sie den langen Weg auf sich nehmen. Nicht ganz freiwillig stößt bald noch Sebastian Laux (Jacob Matschenz) zur Gemeinschaft, der Bruder ihres früheren Verlobten und mit der wichtigen Aufgabe betreut, die Ausreißerin zurückzubringen. Das soll auch Rigobert Gürtler (Sebastian Hülk), der uneheliche Sohn von Veit und Handlanger von Otfried. Nur dass der sie gerne auch noch umbringen würde.

Ganz schön viel Stoff also, aber überraschend spannend umgesetzt. Obwohl der Vergleich zu Dein Weg naheliegt – hier wie dort geht es um eine Pilgerfahrt mit dem Ziel, die Überreste eines Familienangehörigen zu vergraben – von der Machart her ähnelt Die Pilgerin mehr Der Herr der Ringe. Hier wird oft und ausgiebig gekämpft, sei es mit Räubern, Kreuzrittern oder Wachen. Gerade, wenn Tilla als Moritz verkleidet mit den anderen Pilgern durch die unwegsamen Landschaften zieht, werden Erinnerungen an Die Gefährten wach. Das geht so weit, dass man sich an manchen Stellen bei der Erwartung ertappt, jeden Moment könnte ein Ork um die Ecke kommen und die Gemeinschaft angreifen.

Die Pilgerin Szene 2

Verkehrt ist das aber nicht, denn bei einer Laufzeit von drei Stunden muss man sich schon was einfallen lassen, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Neben den häufigen Kampfszenen wurden dafür diverse humorvolle Einlagen eingebaut, vor allem mit dem dezent clownesk angelegten Sebastian. Anfangs mag das unpassend wirken, man lernt diese Comic Reliefs durch Jacob Matschenz aber bald zu schätzen, als Kontrast zu der doch recht schweren und todernsten Geschichte, aber auch zu der etwas weinerlichen Tilla. An deren Darstellung durch Josefine Preuß (Türkisch für Anfänger) sowie den Schauspielern allgemein lässt sich aber nur wenig aussetzen.

Und das gilt auch für die Inszenierung an sich. Regisseur Philipp Kadelbach, der mit dem Weltkriegsdrama Unsere Mütter, unsere Väter von sich reden machte, holte mit seinem Team richtig viel aus der Vorlage heraus. Gerade die dynamischen Kamerafahrten und die Nahaufnahmen unterstützen die Atmosphäre, hinzu kommen stimmungsvolle Settings und die hübschen Kostüme. Wenn es ein Problem bei Die Pilgerin gibt, dann dass allgemein ziemlich dick aufgetragen wird. Hier wird so viel intrigiert, gemordet und geschändet, dass man sich fragt, wie die Leute damals überhaupt das Erwachsenenalter erleben konnten.

Hinzu kommt, dass die Figuren sehr einfach gehalten sind, teilweise fast schon Karikaturen, und eine fette Portion Pathos. Aber beides ist man von Filmen zum Thema Mittelalter gewohnt, von Herr der Ringe sowieso. Und zur Atmosphäre gehört das ja irgendwie dazu. Wem es also mehr um die Stimmung geht, um ein schönes Mittelaltergefühl, so wie wir es uns in unserer romantisierten Vorstellung ausmalen, der findet hier also ein durchaus unterhaltsames Beispiel.

Die Pilgerin ist seit 10. Januar auf DVD und Blu-ray erhältlich



(Anzeige)

Faszination Mittelalter: Die Verfilmung des Bestsellers Die Pilgerin mag gnadenlos übertrieben sein, ist aber gut und spannend inszeniert. Fans von historischen Geschichten mit Hang zum Pathos werden daher bei dem Fernsehfilm ansprechend unterhalten.
6
von 10