Lars und die Frauen

Lars und die Frauen

(„Lars and the Real Girl“, directed by Craig Gillespie, 2007)

„Sometimes I get so lonely I forget what day it is, and how to spell my name.”

Lars and the Real Girl war einer der großen Überraschungserfolge des Kinojahres 2007, der dem Film eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch einbrachte. In nur 31 Tagen gedreht, sorgte das kleine Independent-Werk für einiges Aufsehen und behauptete sich an den Kinokassen. Was ist an dieser Tragikomödie nun so anders als an all den zahlreichen Romanzen, die der leidgeprüfte Kinozuschauer Jahr für Jahr vornehmlich aus Hollywood serviert bekommt?

Zunächst einmal spielt Jennifer Aniston hier nicht mit – dafür jedoch eine Dame, die an Anistons schauspielerische Qualitäten durchaus herankommt. Es ist Bianca, die Silikonpuppe, die dem einsamen Lars (Ryan Gosling) von nun an Gesellschaft leistet. Dabei wollte Lars vorher nie zugeben, einsam zu sein. Einladungen seines Bruders und seiner Schwägerin (Paul Schneider und Emily Mortimer) zum Essen schlug er immer sofort aus und auch auf der Arbeit zeigte er sich wenig gesellig – bis ihm ein Arbeitskollege eine Internetseite zeigte, die das Leben von Lars auf einen Schlag verändern sollte. Es ist eine Webpage, die es einem jeden Menschen ermöglich, sich seine Traumfrau zusammenzustellen – aus Silikon. Diese „Love Doll“, die von einigen fälschlicherweise schlicht als Sexpuppe bezeichnet wird, wird dem Käufer in einer großen Box frei Haus geliefert. Einer dieser Kunden ist Lars. Stolz präsentiert er seine neue Freundin seinem Bruder – dieser ist außer sich und auch dessen Frau kann ihren Augen kaum trauen, als sie einer Plastikpuppe gegenübersitzen und die ihr Freund und Verwandter Lars ganz offensichtlich für real hält.

Beunruhigt und leicht verstört suchen sie psychiatrische Hilfe auf, doch dort sagt man ihnen nur etwas, was sie nicht hören wollen. Man muss Lars Eigenheiten akzeptieren, da man ihm nie würde ausreden können, dass Bianca nicht existiere. Widerwillig akzeptieren sie diese Vorgabe und bemühen sich, sich so zu verhalten, als würde es Bianca, die sprechende Freundin von Lars, wirklich geben. Sie gehen so weit, dass sie alle Freunde über den neuen Umstand in Kenntnis setzen und bitten, nicht ablehnend auf die neue Damenbekanntschaft zu reagieren. Überraschenderweise klappt all das hervorragend und Lars ist sichtlich glücklich mit Bianca – er blüht auf und die Therapie scheint voll anzuschlagen. Doch als er seine Arbeitskollegin Margo (Kelli Garner) näher kennen lernt, scheint sich einiges zu ändern – und nicht unbedingt zum positiven…

Lars und die Frauen ist ein Film – wie sollte es anders sein – für mehr Toleranz. Wem sollte Lars, der harmlose Sonderling und nette Kerl, mit seinem Verhalten auch schaden? Die Botschaft ist keine neue, wird aber hier auf angenehm tragikomische Weise erneut durchexerziert: lebe dein Leben, sodass du glücklich bist – koste es, was es wolle, solange du keine Dritten schädigst oder Gesetze brichst. Getreu nach dem Motto: „Man muss nicht verrückt sein, um zu überleben. Aber es hilft.“ Mit diesem Hintergrund wird auch der verschiedenartige Umgang mit Problemen hinterfragt. Allmählich erfährt der Zuschauer immer mehr über das Seelenleben – nicht nur von Lars – sondern auch von allen anderen Personen, mit denen er mit Bianca zusammentrifft.

Unter all diesen Menschen, die man auf den ersten Blick beneiden könnte, da sie nicht wie Lars geistig krank zu sein scheinen, fällt unmittelbar auf, dass jeder seine eigenen Schwierigkeiten hat und das es eigentlich Lars ist, der zu beneiden wäre. Denn er ist der Einzige, der sich seiner Probleme nicht bewusst ist und auf diese Weise ist er der Einzige, der dazu fähig ist, seinen Problemen erfolgreich zu entkommen. Eine Fähigkeit, um die ihn alle mehr und mehr beneiden, auch wenn sie das niemals zugeben würden. Die primäre Frage dreht sich schließlich auch einzig und allein darum, was eigentlich in dem Kopf dieses verwirrten Mannes vor sich geht, der glaubt, eine Silikonpuppe könne sprechen und ihm all das geben, wozu ein menschliches Wesen fähig wäre.

Erfreulicherweise bleibt der Film in dieser Hinsicht nicht oberflächlich, sondern serviert Gründe für das Verhalten des Sonderlings, aufgrund dessen Lars and the Real Girl keine platte Komödie wird, wie es ein weniger begabter Regisseur und Drehbuchautor hätte vollbringen können, sondern hier wird ein Balanceakt verbracht, der sensible Momente der berührenden Tragikomik präsentiert von einem verletzlichen Lars, der auf einem Baum sitzt und in kastratenhoher Stimme ein altes Lied anstimmt, auf der siebten Wolke schwebend, während die Kamera langsam auf seine Puppe Bianca fährt, die etwas abseits sitzt. Durch diesen Perspektivwechsel ist der unmittelbare Eindruck der des Mitleids, der erst sehr spät abgelöst werden kann durch eine gewisse Befriedigung, durch ein mitfühlendes Lächeln für den glücklichen Lars, der auf Nummer sicher gegangen ist und sich einen Menschen gesucht hat, den er zu hundert Prozent kontrollieren kann.

Was ist nun verrückt und was ist normal? Soll man Menschen in all ihren Eigenheiten akzeptieren und respektieren, unabhängig von der persönlichen Einstellung? Soll man hinter die Fassade schauen und seine eingeschränkte Sicht auf die Welt vergrößern? Leider verheddert sich der Film in eben dieser Philosophie am Ende selber, indem er Szenen serviert von Menschen, die sich selber derart mit Bianca angefreundet haben, dass es schon lange jenseits des Glaubwürdigen rangiert – schade für ein Werk, das immerfort auf eben jenen Realismus gepocht hat, leider aber in die Falle tappt, zu rührselig zu werden. Vielleicht ist es der kurzen Laufzeit geschuldet, dass auch die interessante Beziehung zwischen Lars und Margo nicht ausführlich genug behandelt wird, sondern allenfalls als inkonsequent eingeführter Nebenstrang auftaucht, für den man sich mehr Raum gewünscht hätte. Doch für Liebhaber der sensiblen, stillen Tragikomödie hält Lars und die Frauen trotzdem einiges bereit, wobei nicht nur die originelle Idee zu loben ist.



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8
von 10