The Wild Blue Yonder

The Wild Blue Yonder

(„The Wild Blue Yonder“ directed by Werner Herzog, 2005)

Es beginnt mit einem Schwenk, der einen Wald von Windkrafträdern zeigt. Die Umgebung erscheint trostlos und verlassen. Und dann taucht vor der Kamera ein schräger Typ auf, der wild gestikulierend vorgibt von Andromeda zu stammen. Willkommen in Werner Herzogs Science Fiction Fantasy The Wild Blue Yonder! Der gebürtige Deutsche, der sich inzwischen in Los Angeles zu Hause fühlt, zählt zu den extremsten Filmemachern der Filmgeschichte. Dass seine jüngeren Filme hierzulande meist weder im Kino laufen oder nicht auf deutsch als DVD/Blu-Ray erscheinen, ist ein Armutszeugnis für die hiesige Filmindustrie. So liegt The Wild Blue Yonder bisher leider nur als UK-Import vor.

Wer des Englischen mächtig ist kann dem bereits erwähnten Außerirdischen (Brad Dourif) lauschen, der oberflächlich gesehen wie ein normaler Mensch aussieht. Er erzählt von seiner Reise zur Erde, was durch schwarzweißes Pseudo-(?)Archivmaterial visualisiert wird. Während er also von seiner Raumfahrt erzählt blendet Herzog Bilder von den ersten Flugversuchen der Menschheit ein und untermalt dies mit Operngesängen. Der extraterrestrische Sonderling musste seinen allmählich gefrierenden Planeten verlassen. Nur wenige seiner Rasse haben es auf die Erde geschafft, wo sie in den Vereinigten Staaten vergeblich eine neue Kolonie errichten wollten. Im Hintergrund sieht man zu dem wütenden und sichtlich enttäuschten Außerirdischen die Ruinen einer amerikanischen Kleinstadt.

Im Folgenden erzählt das Alien, wie die Menschheit den alten Roswell-Zwischenfall von 1947 unter die Lupe genommen hat. Denn damals ist tatsächlich ein Schiff von Außerirdischen auf der Erde notgelandet, was die Regierung der Öffentlichkeit vorenthalten hat. Mit den modernsten Instrumenten hat man bei der Inspektion dabei durch Zufall tödliche Essenzen freigesetzt. Um die menschliche Rasse vor dem Aussterben zu bewahren, musste Ende der neunziger Jahre unter strikter Geheimhaltung eine Astronautencrew nach einem Ersatz-Planeten suchen und dabei alle bekannten kosmischen Geschwindigkeitsbeschränkungen durch Wurmlöcher, instabile Zeittunnel und stellare Anziehungskraft überwinden.

Herzog konnte sich diesmal wohl nicht zwischen einem Dokumentation- und einem Spielfilm entscheiden – also hat er einfach beides auf einmal gemacht! Seine fiktionale Geschichte lässt er auf eine Doku-Ästhetik prallen und herausgekommen ist dabei ein meditativer, bizarrer Trip. Doch am Anfang stand die Filmmusik. Inspiriert durch NASA-Filmmaterial ließ er im ersten Schritt den Komponisten Ernst Reijseger die Musik entwerfen. Er stellte sich dabei ein Requiem im Weltall vor. Durch den Ethno-Gesang des senegalesischen Vokalakrobaten Mola Sylla und den melancholisch bis dissonanten Cello-Klängen Reijsegers entsteht ein hypnotischer Klangteppich, der neben dem fabulierenden Dourif die Geschichte strukturiert.

Hinzu kommen mindestens genauso hypnotisch wirkende Bilder aus der Weltraum- und Unterwasserwelt, wo im Schwebezustand eine meditative Sogwirkung stattfindet. Doch Herzog belässt es nicht bei visueller und auditiver Raffinesse. Vielmehr entpuppt sich der Regisseur als SF-Kenner. Er nimmt das Genre dadurch ernster als die meisten Hollywood-Regisseure, indem er der Astronautencrew mit dem Blick eines Ethnologen auf die ungewöhnliche Reise folgt. Die Bilder werden stets durch die Filmmusik oder den Voice Overs Dourifs begleitet, es gibt also keine Dialoge oder Geräusche zu dem vermeintlichen Originalmaterial zu hören. Neben dem überragend spielenden Dourif (Bad Lieutenant), der manchmal an Klaus Kinski, zum Beispiel an die Nosferatu-Figur zu erinnern scheint, ergreifen ansonsten nur astrophysikalische Experten das Wort, die in pseudo(?)-wissenschaftlichen Theorien die kosmische Überwindung der mehrere Lichtjahre entfernten Reise erklären.

Herzog hat in den exzessiven 77 Minuten ein monumentales Kunstwerk geschaffen, das natürlich viel vom Zuschauer abverlangt. Die ungewöhnliche Vermischung von Dokumentation und Fiktion und das Nichtvorhandensein von Dialogen erreichen sicherlich kein Massenpublikum. Cineasten, SF-Nerds, Herzog-Liebhaber und diejenigen, die vom Einheitskram einfach die Schnauze voll haben werden mit The Wild Blue Yonder aber ihre Freude haben. Die diametrale Gegenüberstellung von naturmythischen Ethnoklänge und wissenschaftlich-technischer Space Opera kulminiert letztlich in Herzog Verneigung vor der Schönheit der Natur. Die Hypnose dient also dazu, um den Blick von allem unnötigen Ballast zu befreien und für das Wesentliche zu schärfen.



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