Hunger

Hunger

(„Hunger“ directed by Steve McQueen, 2008)

HU.DVD_inlay-kauf_layDer englische Installationskünstler, Fotograf und Regisseur Steve McQueen legt mit seinem auf der Realität beruhenden Gefängnisdrama Hunger sein Spielfilmdebüt vor. Er selbst gibt an, dass er zeigen wolle, „wie es 1981 im H-Trakt war“, also was es dort alles „zu sehen, zu hören, zu riechen und zu berühren“ gab. Die Visualisierung, das Aufleben von geschichtlichen Fakten, steht im Mittelpunkt des Universalkünstlers: „Was ich darstellen will, ist etwas, was nicht in Büchern oder Archiven zu finden ist. Um eine Geschichtsklitterung zu vermeiden zeige er aber beide Seiten des Häftlingsdaseins – „das Gewöhnliche und das Außergewöhnliche“.

Wie bereits angedeutet spielt der Film 1981 in Maze Prison, Nordirland. Zunächst sieht man, wie der IRA-Aktivist Davey Gillen (Brian Milligan) in den H-Block des berühmten britischen Hochsicherheitsgefängnisses gesperrt wird. Die Gefangenen werden von den Wärtern – unter anderem Raymond Lohan (Stuart Graham) – wie Vieh behandelt. Die IRA-Häftlinge sehen sich nicht als gewöhnliche Kriminelle an – was unter anderem dadurch zum Ausdruck kommt, dass Davey und alle anderen eingangs die übliche Häftlingskluft verweigern, weshalb sie zumeist nackt oder in Decken gehüllt sind. Deshalb fordern sie die Rechte von politischen Gefangenen ein, was sie zunächst mit einem Waschstreik und einer Arbeitsverweigerung unterstreichen. Dem Anführer der IRA-Häftlinge geht das noch nicht weit genug: Bobby Sands (Michael Fassbender) legt dem Priester (Rory Mullen) dar, warum er und andere IRA-Gefangene in einen ausweglosen Hungerstreik treten wollen.

In der ersten Dreiviertelstunde verzichtet McQueen weitestgehend auf Dialoge. Hier kommt er seinem Ziel, zu zeigen wie der Alltag im H-Block war, vehement nach, indem er als stiller Beobachter – mit einer nahen Kamera – die Häftlinge in der Zelle oder bei den Misshandlungen durch die Wärter begleitet. Zu Beginn skizziert er aber zunächst einen einzelgängerischen Wärter, dessen rituelle Waschungen erst später – nach den Misshandlungen an den IRA-Insassen – ihren eigentlichen Sinn bekommen und das Mitleid des Zuschauers aufgrund von dessen Wunden im Nachhinein negiert. McQueen verzichtet darüber hinaus auf eine Nachzeichnung von Lagerstruktur und Lagerabläufen, sondern greift punktiert sowohl die nervenzerreißende Trostlosigkeit in langen Einstellungen, als auch in ohrenbetäubenden und brutalen Sequenzen, wie eine Schar von knüppelnden Polizisten auf die einzelnen, wehrlosen Häftlinge einprügeln. Eine Schwarzweißmalerei vermeidet McQueen in dieser Sequenz dadurch, dass er einen überforderten und selbstzweifelnden Polizisten weinend in einer Ecke zeigt, dem die Prügelorgien scheinbar gegen sein Gewissen gehen. Die Gefängnisbilder und wortlosen Einstellungen der langen Gänge sowie das Licht erinnern an Krzystof Kieslowskis Ein kurzer Film über das Töten und können als Hommage an den Todesstrafe-Film gewertet werden.

Die zweite Hälfte des Films beginnt mit einem über zehn minütigen Dialog zwischen Bobby und dem Priester, das wiederum fast ausschließlich aus einer einzigen Einstellung – eine Halbtotale – gedreht wurde und erst in den Schlusssätzen eine typische Schuss-Gegenschuss-Einstellung aus eine schrägen Perspektive von unten auf jeweils einen der Gesprächspartner richtet, wodurch die aufgebaute Distanz sofort wieder vernichtet wird. Die eloquenten und schlagkräftigen Wortgefechte, die sich Bobby – der glänzende Michael Fassbender (300, Inglorious Basterds), der wie Christian Bale in The Machinist oder Rescue Dawn, für seine Rolle ordentlich abgenommen hat – und der Priester liefern, prasseln nach den wortkargen und aufreibenden Haftsequenzen beruhigend auf den Zuschauer ein. Nach dem Gespräch sieht man den restlichen Film, wie Bobby in den Hungerstreik tritt.

Inhaltlich geht es in dem überragenden und schockierenden Drama um den uralten Kampf „David gegen Goliath“. Auf der einen Seite steht die übermächtige britische Regierung um die „Eiserne Lady“ Margeret Thatcher und auf dder anderen Seite die vermeintlich unterlegenen Terroristen und Aktivisten im Kreis der IRA. Der Hungerstreik bedeutet für Bobby und Co. keinen Selbstmord. Vielmehr sehen sie aufgrund ihrer ausweglosen Situation als Opfer und die britische Regierung als Täter an, was in dem gut 90 Minuten langen Film durch ein Zitat von Bobby nachdrücklich bestätigt wird:

Mein Leben in die Waagschale zu werfen ist nicht nur das Einzige, was ich tun kann – es ist das Richtige

Damit spielt er auch auf seine Kindheitserfahrung an: Während seine Freunde zusahen wie in einem flachen Fluss ein Fohlen durch eine Verletzung langsam im Begriff war, leidend zu sterben, ergriff er als einziger die Initiative und ertränkte das Pferd. Bobby ist eben ein Mann, der nicht daneben stehen und zusehen kann.



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