Frau ohne Gewissen

Frau ohne Gewissen

Kritik Sam Spade

„Frau ohne Gewissen“ // Deutschland-Start: 6. Juni 1950 (Kino)

Nach den bisherigen Reviews komme ich nun endlich einmal dazu, einen Film aus meinem favorisierten Genre zu besprechen, dem Film-Noir, ein Filmbereich der zwischen 1941 und 1958 großen Anklang fand und der bis heute außerordentlich erfolgreich ist. (Zuweilen hört man von Neo-Noir Filmen, zu denen auch Reservoir Dogs oder Pulp Fiction gezählt werden, ebenso Ridley Scotts Meisterwerk Blade Runner). Für mich jedoch ist der echte Film Noir in den oben genannten Zeitraum zu setzen. Den Beginn des Genres markierte 1941 die Dashiell Hammett Verfilmung Die Spur des Falken, die von dem jungen Regisseur John Huston in Szene gesetzt wurde und der auch das Drehbuch schrieb, was sehr eng an die Buchvorlage geheftet ist. Als gegen Ende der 50er Jahre die Angst vor der H-Bombe aussetzte und auch die Kommunistenjagd des US-Senators Joseph McCarthy endete, wurde auch der düstere Film Noir weniger gefragt und schließlich endete seine Ära 1958 in Orson Welles‘ späten Meisterwerk Im Zeichen des Bösen, der heute auch von Filmkritikern als letzter reiner Vertreter des Genres aufgefasst wird.

Das von mir besprochene Werk Frau ohne Gewissen, nach einem Roman des Hard-boiled-Schriftstellers James M. Cain, steht also noch ziemlich zu Beginn der 17 Jahre andauernden Serie, in der auch solche Meisterwerke wie Gangster in Key Largo, Tote schlafen fest, Rattennest und Goldenes Gift entstanden. Und auch dieser Streifen braucht den Vergleich mit den absoluten Top-Vertretern nicht zu scheuen. Im Gegenteil: Billy Wilders ausgezeichnete Buchumsetzung kann sich getrost zu den erwähnten Klassikern gesellen und hat Platz 29 der besten amerikanischen Filme inne.

Der Film erzählt von dem Versicherungsvertreter Walter Neff, der in Los Angeles tätig ist (neben New York, Chicago und San Francisco einer der Schauplätze im Film Noir) und eines Tages in den vornehmen Stadtteil Bunker Hill fährt, in dem einer seiner Kunden lebt. Jedoch ist dieser nicht anwesend und Walter (Fred McMurray) unterhält sich stattdessen mit der Frau des Mannes, Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck), die für ihren Gatten eine Lebensversicherung abschließen will. Walter ist fasziniert von der kühlen Dame, die sich auch für ihn zu interessieren beginnt, allerdings nur weil sie ihren Mann los werden will. Wenn Sie es vorher schafft ihren Gatten (Tom Powers) zu der Versicherung zu überreden, könnte sie das Geld erben, im Falle eines Unfalls sogar die doppelte Summe, daher rührt auch der Titel dieser düsteren, zynischen und bösen Geschichte: Double Indemnity. Walter bemerkt Phyllis‘ Planung, doch wie es das Gesetz des Film Noir vorschreibt, lässt er sich von der reservierten Dame überreden und nach der Unterzeichnung des Kontrakts lässt das Paar den ungeliebten Mann mit einem getäuschten Unfall verschwinden. Doch beide haben nicht mit dem Versicherungsdetektiv Barton Keyes (Edward G. Robinson) gerechnet, der nicht an den Unfall glaubt und Walter und Phyllis langsam auf die Spur kommt.

Frau ohne Gewissen ist einer der ersten Filme Billy Wilders nach seiner Ankunft in Hollywood. Seine Regie ist äußerst gut und vor allem bei der sehr kühlen Barbara Stanwyck bemerkt man, wie er seine Schauspieler durch den Film leitet. Gerade diese sind in diesem Werk herausragend gewählt. Fred MacMurray überzeugt als Walter, der sich von der reservierten Phyllis einwickeln lässt. Neben ihm und der unvergesslichen, vielleicht boshaftesten femme fatale im ganzen Genre gefällt mir auch Edward G. Robinson als Versicherungsdetektiv, dem andauernd das Streichholz für seine Zigarre fehlt. Robinson ist damals bereits ein bekannter Charaktermime gewesen, der in unzähligen Gangsterfilmen der 30er Jahre mitgespielt hatte. Darunter sind auch Klassiker wie Der Kleine Caesar oder Kid Galahad.

Die Kamera hat in diesem Film der Routinier John F. Seitz übernommen, der schon des öfteren mit Billy Wilder zusammengearbeitet hatte. Die Bilder, die er einfängt, sind weniger spektakulär gefilmt, aber sie zeigen exzellent das Schattenspiel im Film Noir und verdeutlichen die dunkle Welt in der sich die Geschichte abspielt. Besonders gefällt mir die Aufnahme, in der man Walter im Vordergrund sieht, und man denken könnte, er wäre Herr der Lage, aber im Hintergrund ist die Frau ohne Gewissen zu sehen, die in Wahrheit die dominierende Person in diesem dunklen Geschehen ist. So also sieht die Kunst der Kamera in Wilders Film aus und sie verdient das höchste Lob.

Was den Film aber entscheidend zu einem absoluten Klassiker macht, ist das Drehbuch, das niemand anderes als der Kriminalschriftsteller Raymond Chandler verfasst hat und das Cains Vorlage so meisterhaft umsetzt, dass er hierfür eine Oscar-Nominierung erhielt. Seine Fähigkeit, den Charakteren den richtigen Dialog zu verleihen, sorgt in diesem Geniestreich für eine unheimlich geladene Stimmung, die dem Film schlussendlich hilft zu einem wahren Meisterwerk des Film Noir zu werden.

Frau ohne Gewissen, Billy Wilders frühes Hollywood-Meisterwerk, wurde schließlich prägend für andere Vertreter des Genres und ist an Spannung auch heute noch sehr reich. Seine besten Szenen hat der Film, wenn wir Phyllis Dietrichson sehen, die bis heute noch auf der Liste der besten Filmschurken steht. Ihre distanzierte völlig unterkühlte Art war der Grundstein für viele femmes fatales des Genres (z.B. für Otto Premingers Genre-Werk Laura) und ist vermutlich eine der besten Darstellungen des Hollywoods der 40er Jahre. Raymond Chandlers Drehbuch führt den Versicherungsagenten Walter Neff in den sicheren Abgrund und in die Hände der eiskalten Frau, die ihn nur benutzt, um an das Geld ihres Mannes zu kommen. Dieser Film ist in allen Bereichen als absolut superb zu bezeichnen und von der Konsequenz zu Schluss reicht auch nur Tarantinos‘ Reservoir Dogs an ihn heran.

Kritik Stephan Eicke

„Frau ohne Gewissen“ // Deutschland-Start: 6. Juni 1950 (Kino)

„Ein großartiger Film! Sie sind alle so wundervoll!“ sagt Diane Keaton zu Woody Allen in dessen Krimikomödie Manhattan Murder Mystery. Es sei einer seiner Lieblingsfilme, erwidert die Filmfigur Allens. Die Rede ist von Billy Wilders Double Indemnity, einem der bekanntesten und beliebtesten Film Noir-Werke, das seinerzeit mit sieben Oscar-Nominierungen bedacht wurde. Das Drehbuch stammt von Wilder selbst, doch dieser hatte nicht das Glück, alleine an dem Script zu arbeiten, denn der bei Paramount unter Vertrag stehende Raymond Chandler sollte ihm das Leben während ihrer Zusammenarbeit schwer machen. Chandler war zu dieser Zeit bereits eine Größe unter amerikanischen Schriftstellern, der vielleicht nie die Ambitionen hatte, einen Literaturnobelpreis in Empfang nehmen zu können, sein breites Publikum dafür jedoch mit spannenden Detektivgeschichten unterhalten konnte, die eine literarische Gestalt beinhaltete, die nicht zuletzt aufgrund Humphrey Bogarts zu den bekanntesten Figuren in der fiktiven Kriminalgeschichte des 20. Jahrhunderts werden sollte: Philip Marlowe.

Dieser sollte zwar in Double Indemnity nicht auftreten, doch das war das geringste Problem für Chandler, der die Zusammenarbeit mit dem dominanten Wilder derart hasste, dass er seine Arbeit abbrach und grundlegende Änderungen forderte, ehe er wieder zu seiner Arbeit zurückkehren würde. Paramount tat ihm letztlich diesen Gefallen, doch gute Freunde wurden Chandler und Wilder deshalb trotzdem nicht.

Trotz dieser Fehde hat sich ihr gemeinsamer Film mittlerweile zu einem respektierten Klassiker entwickelt, den viele Kritiker und Bewunderer des Film Noir als den besten Vertreter dieses Genres ansehen. Dabei konnte man anfangs keinen Hauptdarsteller finden – was vielleicht verständlich ist, ist doch die Figur des Walter Neff keine, mit der ein Schauspieler seinen Ruf verbessern konnte. Neff (Fred MacMurray) ist ein Naivling, der leicht auf Frauen hereinfällt und zum skrupellosen Mörder wird. Hauptberuflich ist er jedoch Versicherungsvertreter, den es eines Nachmittages zum Haus eines Klienten verschlägt. Wie sich herausstellt, ist Mr. Dietrichson jedoch nicht zu Hause, sondern lediglich seine attraktive und wesentlich jüngere Ehefrau Phyllis (Barbara Stanwyck). Diese zögert nicht lange und lässt bei Walter Neff ihren Charme spielen. Dieser lässt sich von ihr einwickeln, hegt aber ernste Zweifel an der Reinheit der extrovertierten Blondine, als diese ihn über Unfall-Versicherungen ausfragt. Schnell wird Neff klar, dass sie nur eins im Schilde führt: ihren Mann kaltblütig umzubringen, es nach einem Unfall aussehen zu lassen und die Versicherungssumme zu kassieren. Schließlich lässt sich der Versicherungsvertreter auf dieses Spiel ein, denn für ihn würde sich das Risiko auszahlen, so würde er nicht nur den unsympathischen Ehemann von seinem Objekt der Begierde los, sondern könnte mit Phyllis in Frieden die Zweisamkeit genießen. Gemeinsam tüfteln sie einen teuflischen Mordplan aus, der nur gelingen kann… denken sie, doch sie haben nicht mit Walters Vorgesetztem Keyes (Edward G. Robinson) gerechnet, der schnell wittert, dass an der Sache etwas faul sein muss.

Frau ohne Gewissen ist eines ganz sicher: stilsicher. Brillant fotografierte, mystisch eingefangene Schwarzweiß-Bilder von einem Los Angeles, in dem nach dem Kennenlernen der beiden Protagonisten nie die Sonne scheint, der für Raymond Chandler typische, lakonische Erzähler im Off, der klingt wie ein kettenrauchender und Whiskey-trinkender Privatdetektiv, der in seinem schmutzigen Büro eine Puppe zurechtweist, Charaktere, die schwarze Abgründe in ihren Seelen entdecken und subtiler Humor durch einen großartigen Edward G. Robinson, der Fred MacMurray die Grundlage für einen pointierten Running Gag liefert. Wie in vielen Vertretern dieses Genres ist auch hier eines der wichtigsten Stichwörter die Frau, die Femme Fatale, die alle Männer um sich herum ins Unglück stürzt und Barbara Stanwyck spielt zweifellos eine grandios unschuldige, aber todbringende Schurkin, die letztlich mehr auf dem Gewissen hat als nur ihren Ehemann. Walter Neff lässt sich leicht einwickeln – nicht nur von ihr. Frauen sind die Spinnen, in dessen Netzen sich die Männer verfangen und früher oder später ihren Tod finden.

Natürlich ist Double Indemnity diesbezüglich auch ein düsteres Paradebeispiel für einen Film über menschliche Unvernunft und Naivität, wie sie uns im alltäglichen Leben in abgeschwächter Form begegnet, und hier wird boshaft und unerbittlich dargestellt, was für Folgen derartiger Leichtsinn mit sich bringen kann. Dabei zieht dieser Streifen nahezu seine gesamte Spannung aus den Charakteren selbst und verzichtet auf reißerische Aufnahmen, die dem Zuschauer einen Schrei der Überraschung und des Schrecks entlocken sollen. Gerade das ist eines der Dinge, die den Film Noir auszeichnen, der es nur selten nötig hat, auf derartig plakative Stilismen zurückzugreifen. So spricht es für sich, dass man in Double Indemnity weder den Mord noch die Leiche sieht. Stattdessen bleibt die Kamera auf dem Auslöser dieser Untat, wenn sie unerbittlich, aber fast mit einem sadistischen Vergnügen auf einer befriedigten Barbara Stanwyck ruht, deren Traum in Erfüllung geht, indem ihr Liebhaber Hand an ihren aggressiven Ehemann anlegt, da dies das Ticket für eine Fahrt in die Freiheit bedeuten soll. Doch es wird das Gegenteil für den armen Walter Neff, der sich bald in einer Hölle befinden soll, aus der er eigenhändig kaum noch entkommen kann. Die Blindheit, mit der ihn Phyllis geschlagen hat, kommt ihm dabei nicht zu Hilfe.

Credits

OT: „Double Indemnity“
Land: USA
Jahr: 1944
Regie: Billy Wilder
Drehbuch: Billy Wilder, Raymond Chandler
Vorlage: James M. Cain
Musik: Miklós Rózsa
Kamera: John Seitz
Besetzung: Fred MacMurray, Barbara Stanwyck, Edward G. Robinson, Porter Hall, Jean Heather, Byron Barr

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Academy Awards 1945 Bester Film Nominierung
Beste Regie Billy Wilder Nominierung
Beste Hauptdarstellerin Barbara Stanwyck Nominierung
Bestes Drehbuch Raymond Chandler, Billy Wilder Nominierung
Beste Musik Miklós Rózsa Nominierung
Beste Kamera (Schwarzweiß) John F. Seitz Nominierung
Bester Ton Loren L. Ryder Nominierung

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